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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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vermaledeiter Komödiant, ein hergelaufener Lumpenhund, hatte Behrmann erstochen. Um ein paar Taler, sonst nichts.
    Claes hielt den Brief näher an die Kerzen und las weiter:
     
    Ich schicke Euch diesen Brief mit einem geheimen Kurier. Denn wenn jemand dem Handelshaus Herrmanns schaden will, so kann das nur einer sein, der wie Ihr zwischen Hamburg und Lissabon Handel treibt.
     
    Seit der Brief heute Morgen angekommen war, hatte er diesen Satz wieder und wieder gelesen. Als gäbe es nicht genug Gefahr und Ärger mit den algerischen Korsaren, die sich im Mittelmeer und auf dem Atlantik herumtrieben und Handelsschiffe kaperten. Die Kanonen, mit denen jedes Handelsschiff zum Kampf gegen die Räuber auf See bestückt war, beanspruchten viel kostbaren Frachtraum.
    Sollte er sich nun auf der Börse und im Kaffeehaus die Kaufleute, von denen er viele seit seiner Kindheit kannte, ansehen und argwöhnen, welcher von ihnen seinen Handel ruinieren wollte?
    Und warum? Die Handelshäuser, die groß genug waren, um wie er Handel mit Lissabon zu treiben, konnten ihn leichter mit klugen und listenreichen Geschäftsabschlüssen ausstechen als mit Pulver im Rumpf eines seiner Schiffe.
    Ein leises Räuspern riss ihn aus seinen Gedanken. Er blickte auf. «Was ist denn, Blohm? Ich wollte doch nicht gestört werden.»
    Blohm rang die großen roten Hände. «Gewiss, Herr, aber die Damen wollen nicht wieder gehen. Sie machen …», er räusperte sich wieder, «sie machen Schwierigkeiten.»
    «Damen? Was für Damen?»
    «Nun, vielleicht sind sie gar keine Damen, auch wenn sie aussehen wie Damen. Fein geputzt, aber nicht zu sehr. Und sie sprechen doch manierlich, auch keine Schminke, nicht mal Puder, wie es sonst solche, nun ja, Damen im Gesicht haben …»
    «Blohm, rede keinen Unsinn. Was sind das für Damen, und was wollen sie?»
    «Die Damen sagen, sie kommen wegen Behrmann. Oder wegen seinem Mörder. Das haben sie natürlich nicht so gesagt, sie sagen, der Mörder ist keiner. Die Damen sind von den Komödianten.»
    «Wirf sie raus! Und wenn du es nicht schaffst, hol die Wache.»
    Blohm schloss eilig die Tür.

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    4. Kapitel
    Mittwoch
    Jean hockte auf einem stinkenden Strohsack im Kerker der Fronerei an der Bergstraße nahe St. Petri und fror jämmerlich.
    Die Mauern waren feucht und klebrig wie die abgewetzte Decke, mit der er vergeblich versuchte, sich zu wärmen. Er lauschte auf den Lärm, der durch die vergitterte Luke hereindrang. Sie maß nicht mehr als zwei Hände und war so hoch oben in der Mauer, dass er nicht hinaussehen konnte. Er erreichte sie mit den Fingerspitzen, aber sein Versuch, sich hochzuziehen, scheiterte. Die Wände waren zu glitschig, er rutschte immer wieder ab.
    Jean hatte Angst.
    Es stimmte. Er hatte zu viel getrunken und beim Würfeln vielleicht ein wenig dem Glück nachgeholfen. Wirklich nur sehr wenig. Es hatte auch gar nichts genützt. Der andere, so betrunken wie er selbst, hatte meistens gewonnen. Aber nie und nimmer hatte Jean ihn erstochen. Er hatte ja nicht einmal ein Messer gehabt.
    Jean starrte auf die zerkratzten Wände des Kerkers. Sosehr er sich bemühte, an glücklichere Zeiten zu denken, immer wieder erschienen schwarze Bilder von Gehenkten, Geräderten und Ersäuften auf den Mauern.
    Er war auf einem Karren geboren und sein ganzes Leben als fahrender Komödiant durch das Land gereist. Er hatte alles gesehen, was Menschen einander antun können. Aus vielen Städten war er von frommen Pfarrern und Bürgern verjagt worden. Ob eine Kuh verendete, ein Kind tot geboren oder ein Schwein gestohlen wurde, wenn Komödianten in der Nähe waren, wurde nie lange gefragt, wer schuldig war.
    Trotzdem liebte er das Wanderleben. Er liebte das Spiel auf der Bühne, das Johlen der Leute, ihr Lachen und ihre Tränen. Die Freiheit der Fahrenden war teuer bezahlt, aber um keinen Preis wollte er sich in einer der stickigen Städte niederlassen. Um fast keinen Preis. So wichtig wie den Applaus brauchte Jean das Leben unter freiem Himmel und das Reisen durch eine Welt, die grenzenlos schien.
    Die Sehnsucht, frische Luft zu atmen und der Düsternis und Enge zu entfliehen, wurde in diesem Kerker zur brennenden Gier.
    Er schloss die Augen und folgte den Geräuschen, die durch die Luke vom Platz vor der Fronerei hereindrangen. In seiner Phantasie verwandelten sich die Geräusche in Bilder: Das Knarren von Rädern wurde zu Lastkarren, die quietschende Kette zeigte ihm den Kran, der Fässer auf die

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