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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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und Aas sie auch aufstöbern. Egal, wie tief sie jetzt vergraben war. Selbst wenn sie im Schlick des Herrengraben-Fleets steckte, das gleich hinter der Fuhlentwiete verlief, würde Hubertus ihm die Stelle zeigen, bei der man sie hineingeworfen hatte. Und in den Fleeten ging nichts verloren. Dafür sorgten die nächste Ebbe und die Fleetenkieker, die bei ablaufendem Wasser im stinkenden Morast der Gräben nach Verwertbarem suchten.
    «Gleich ist unsere Arbeit getan, Fräulein Rosina», zirpte der Wachtmeister, «nichts für ungut. Pflicht ist Pflicht», und stolperte aufgeregt davon, um Grandow den Weg hinter den Stall und zur Komödienbude zu zeigen.
    Grabow zog ein Hemd, das nicht mehr ganz sauber war, aus einem Lederbeutel und hielt es Hubertus vor die Nase. Schnaubend und schnüffelnd besabberte der Hund das Leinen, rülpste, schüttelte speichelspritzend den mächtigen Schädel und sah seinen Herrn erwartungsvoll an. Hubertus war bereit.
    «Such», zischte Grabow und stieß die Budentür weit auf.
    Hubertus senkte seine große Nase in den Staub des Theaterbodens und schnüffelte zwischen Brettern, Bänken und alten Kulissen in jede Ecke. Er schnüffelte lange, und die Komödianten, die sich an der Budentür drängten, begannen zu hoffen.
    Plötzlich blieb Hubertus stehen, sein Nackenhaar richtete sich langsam auf, seine Schenkel spannten sich, und ein dumpfes Knurren rollte aus seiner Kehle.
    «Fass», rief Grabow aufgeregt, und das Tier, das eben noch wie ein Standbild im Staub gestanden hatte, bäumte sich auf und stürzte vorwärts.
    «Fass», schrie Grabow immer wieder, «fass!»
    In seinen Augen brannte das gleiche Jagdfieber wie in denen des Hundes, der nun mit aller Kraft an dem Riemen zerrte und aus der Bude stürzte, die Nase immer fest am Boden, bis zum Tor. Mit gellendem Gebell sprang er daran hoch, bis Wagner endlich den Balken weggeschoben und das Tor geöffnet hatte.
    Hubertus raste auf die Fuhlentwiete und zog seinen Herrn hinter sich her wie ein Spielzeug. Johlend schloss sich die wartende Menge an, Hühner und Schweine stoben auseinander, Mütter rissen ihre Kinder aus dem Weg, und immer weiter ging es in wilder Jagd durch die labyrinthischen Gänge der Neustadt, bis Hubertus seinen atemlosen, aber siegesgewissen Herrn im Kornträgergang zwischen zwei schiefen Häusern hindurch in einen verwinkelten Hof zerrte. Sein gieriges Bellen wurde zum winselnden Jaulen, und als Rosina sich endlich bis in die erste Reihe gedrängelt hatte, sah sie, warum die Menge vor Vergnügen grölte wie bei Titus’ derbsten Späßen.
    Hubertus hatte sein Ziel erreicht. Aber er hatte keine Leiche gesucht, sondern war der heißen Spur einer läufigen Hündin gefolgt. Nun war er eifrig dabei, seine zahlreiche Nachkommenschaft weiter zu vergrößern.
    Im Kröger’schen Hof war Lies allein zurückgeblieben. Hunde, dachte sie, sind berechenbare Tiere. Fast wie Menschen.
    Sie lauschte dem Lärm, der über die Höfe und Gänge drang, und nähte mit zufriedenem Lächeln neue Kräuterbeutel. Am Herrengrabenfleet hatte sie heute Morgen schon vor Sonnenaufgang die ersten Huflattichblüten entdeckt. Ein wunderbares Kraut gegen den Frühlingshusten und geschwollene Gelenke.
    Wenn man es sparsam verwendete.
     
    Rosina atmete tief durch, als sie das Millerntor passiert hatten. Der Wind wehte vom Fluss, und auch wenn er den ranzigen Geruch von den Tranbrennereien am Elbhang mitbrachte, schien er ihr frisch und rein wie auf den Harzhöhen. Erst jetzt spürte sie, wie eng und stickig das Leben in der übervölkerten Stadt mit ihren moderigen Fleeten war.
    Sie drehte sich um und sah zurück auf die kupfergrünen Türme der Kirchen und Klöster, auf das Meer von roten Dächern und Giebeln. An den steilen Wällen der Festungen drängte frisches Gras durch das Winterbraun, und selbst die Wachen am Tor, die Rosina und Lies streng gemustert hatten, erschienen ihr nun in ihren rot-blauen Uniformen wie Figuren auf einem Gemälde. Von der Ebene vor den Wällen war die Stadt in der Mittagssonne wunderschön. Das sollte Rudolf sehen. Es würde ein gutes Motiv für die neuen Kulissen geben, die er in den nächsten Tagen malen wollte.
    «Komm weiter, Rosina.» Lies zog ungeduldig an ihrem Ärmel. «Bevor es dämmert, schließen die Hamburger ihre Tore zu. Ich will nicht auf dieser Wiese übernachten.»
    Es war kurz nach dem Mittagsläuten. Schwer beladene Wagen, Kutschen und Reiter lärmten auf der schmalen Straße, die aus der Stadt zum Hamburger

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