Tod am Zollhaus
Seite saß, schien ihre Hochzeit nur noch eine Frage der Zeit. Niemand hatte verstanden, warum er sich plötzlich von ihr zurückgezogen hatte. Selbst aus den Küchen der Häuser Herrmanns und Josten drangen nur vage Vermutungen.
Nun kam sie ihm in der Menge entgegen, und Claes glitt hinter den dicken Stamm einer Linde. Irgendwann musste er ihr begegnen, aber nicht gerade heute.
Agnes war eine schöne Frau. Biegsam wie eine Birke und immer in Bewegung, die weit schwingenden Röcke ihres schilfgrünen Kleides waren mit silbernen Litzen besetzt, die im Sonnenlicht glänzten und alle Blicke anzogen. Die winzige Haube auf dem hochgetürmten aschblonden Haar war mit Schwanenfedern besetzt und ließ ihren zarten Teint schimmern wie eine frisch erblühte weiße Rose. Er sah sie lachen, die vollen Lippen glänzten feucht und rot über makellosen kleinen Zähnen.
Claes seufzte. An ihrer Seite hatte er sich wieder jung und abenteuerlustig gefühlt. Er hatte sie mit jeder Faser seines Körpers begehrt.
Aber dann sah er, wie sie ihre Zofe schlug, bis aus der Nase des Mädchens Blut rann, nur weil es Kakao über ein neues Kleid geschüttet hatte. Er sah immer noch hinter der schönen Maske die wutverzerrte Fratze, hörte immer noch die harten Schläge dieser kleinen, scheinbar so zarten Hände.
Er war sich bis heute nicht sicher, ob das wirklich ein Grund war, eine so günstige Ehe auszuschlagen. Auch Maria konnte streng sein, streiten und ihn reizen, bis er tobte. Aber sie hatte immer einen Grund gehabt. Und niemals hätte sie eine Magd, fast ein Kind noch, geschlagen. Schon gar nicht für ein Missgeschick, wie es alle Tage vorkommen konnte.
Bei dem Gedanken an Marias Tod fühlte er immer noch Zorn.
Agnes war nicht allein, natürlich nicht, es mangelte ihr nie an Verehrern, die von ihrer Schönheit und Caprice oder von ihrem Vermögen gefesselt waren. Aber mit Thomas Matthews hatte Claes sie nie zuvor gesehen.
Sie blieben nicht weit von der Linde stehen, hinter deren Stamm sich Claes verbarg.
«Ach, Thomas, mein Freund, Ihr seid so kraftvoll. Und so klug.» Sie sah ihn schmelzend über den Rand ihres Fächers an. «Was hätte ich gestern nur ohne Eure Hilfe getan?»
Matthews errötete wie ein Jüngling.
Der Wind trug den Rest ihrer Worte davon. Was Claes bedauerte. Er hätte gerne noch ein wenig gelauscht.
Nun hob sie den Arm und winkte mit dem Fächer. Scherzend und tändelnd tippelte sie, Matthews fest am Arm, die Allee hinunter.
Claes schimpfte sich einen erbärmlichen Feigling, aber nur der Ehre wegen und äußerst halbherzig, kam hinter seinem Lindenversteck hervor und sah, wie Captain Braniff, die rechte Hand auf dem weinroten Samtrock direkt über dem Herzen, sich tief über Agnes’ Hand beugte.
Claes war ärgerlich, auch wenn er nicht wusste, warum. Agnes konnte sich umwerben lassen, von wem immer sie wollte, es ging ihn nichts an, und es interessierte ihn auch nicht, was Matthews für sie getan hatte.
Nein, er ärgerte sich nicht über Agnes. Er ärgerte sich über Matthews. Und über Braniff. Aber warum? Die beiden passten gut zu Agnes. Zwei Abenteurer und eine, eine …
Ach was. Es ging ihn wirklich nichts an.
Claes blieb so plötzlich stehen, dass ein Junge, der in blindem Vergnügen einem Reifen hinterherrannte, über seinen Stock stolperte. Das Kind rappelte sich hastig auf und lief erschrocken davon, aber Claes bemerkte es kaum.
Er sah immer noch Agnes, Braniff und Thomas nach, die fröhlich plaudernd zu einem der Anleger schlenderten und mit viel Gelächter eine der schwankenden Lustschuten, ein kleines, überdachtes Ausflugsboot, bestiegen.
Was hatten die drei miteinander zu tun?
Und vor allem: Wo war Anne?
In Jensens Kaffeehaus herrschte das gleiche Gedränge wie an der Alster. Während die Hausfrauen nach Gottesdienst und Promenade davoneilten, um ihren Köchinnen auf die Finger zu sehen und das gute Silber für das Sonntagsmahl aus dem Schrank zu holen, trafen sich die Herren zu einer Tasse Kaffee oder einem Glas Port bei Jensen.
Claes mochte die sonntägliche Mittagsstunde im Kaffeehaus nicht besonders. An Wochentagen, wenn sich die Kaufleute nach der Börse beim Kaffee oder zu einer Runde Billard trafen, summten die Räume von den Gesprächen über Ladungen und Schiffe, über Probleme der Commerz Deputation, den letzten Bankrott oder die neuesten Nachrichten in den Zeitungen aus London, Berlin, Amsterdam, Kopenhagen und Paris.
Am Sonntagvormittag lähmte gewöhnlich die
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