Tod am Zollhaus
sah hinunter auf das Wasser.
Eine dunkle Gestalt, groß und breit wie ein Bär, stakte eilig ein kleines, flaches Boot davon. Der lange, schwarze Mantel wehte im Nachtwind, und Frau Adelus überlegte mit wohligem Grausen, ob es der Fliegende Holländer war, der versucht hatte, über die Kranwinde in ihr Schlafzimmer zu gelangen.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, glaubte sie fest, alles nur geträumt zu haben.
Sie hatte nicht geträumt. Tatsächlich waren allerdings drei schwarz vermummte Menschen mit dem Boot im Dunkel verschwunden.
«Nun sag schon», flüsterte Rosina unter der Plane hervor, «hast du was gefunden?»
«Einen versiegelten Brief», Sebastian klopfte auf sein Wams, in das er den Brief gesteckt hatte. «Ich hoffe, es ist der richtige. Sonst war nichts da, was uns interessieren könnte. Keine Papiere und keine Hinweise auf geheime Laster.» Er grinste breit, und Rosina sah seine Zähne in der Dunkelheit blitzen.
«Haltet’s Maul», zischte Titus, der Mann an der Stake. «Und macht euch verdammt noch mal unsichtbar.»
Rasch legten sich Sebastian und Rosina flach auf den Boden des Bootes. Die wenigen Minuten, bis Titus die Brücke nahe dem Dreckwall erreichte, erschienen Rosina wie eine Ewigkeit. Sie hatten Glück, niemand war zu sehen, und niemand wartete mit der Stadtwache auf die Bootsdiebe. Sie hatten das Boot, das dort wie viele andere für die Nacht festgemacht war, vor einer Stunde «ausgeliehen». Jakobsen war der Einzige, der ihnen ohne zu fragen und mitten in der Nacht eines geliehen hätte. Doch sie wollten den Wirt nicht in ihr verbotenes Abenteuer hineinziehen. Außerdem lag es am Herrengrabenfleet, zu weit, um nicht an irgendeiner Ecke auf einen Nachtwächter zu treffen.
Titus machte das Boot an seinem alten Platz fest, und mit kaum hörbaren, eiligen Schritten verschwanden die drei im Schatten der engstehenden Häuser.
Niemand würde am nächsten Morgen bemerken, dass das Boot in der Nacht unterwegs gewesen war. Und niemand, auch nicht Frau Adelus, würde es für möglich halten, dass einer ohne die Hilfe dunkler Mächte unbemerkt in die Behrmann’sche Wohnung eindringen konnte. Die Haustür war in der Nacht mit einem Balken gesichert, und wer durch eines der unteren Fenster einstieg, wurde schon nach wenigen Schritten auf der Treppe erwischt. Ihr erbarmungsloses Knarren verriet jeden.
Sie nahmen nicht den direkten Weg zur Fuhlentwiete, sondern schlichen vom Langen Gang aus durch die engen, stockdunklen Gänge und Höfe, an der Komödienbude vorbei und über den Bretterzaun in den Kröger’schen Hof. Dabei schreckten sie ein paar Hunde auf, aber daran würde sich morgen niemand erinnern. Hunde bellten immer, wenn Sturmwolken aufzogen. Gerade als sie den Stall erreichten, öffnete der Himmel seine Schleusen und schüttete harten, winterkalten Regen auf die Stadt.
Die Tür glitt geräuschlos auf, Rudolf hatte am Vormittag die Scharniere poliert und gründlich eingefettet.
«Endlich!» Helena sprang von ihrem Heuballen auf, als Titus, Rosina und Sebastian in den Stall schlüpften. «Ich bin fast gestorben vor Angst. Warum habt ihr so lange gebraucht? Habt ihr den Brief gefunden?»
«Langsam», brummte Titus, «eins nach dem anderen. Hast du an den Wein gedacht? Ich verdurste.»
«So seid doch leise», flüsterte Gesine, die in der Dunkelheit hinter Helena stand, und reichte ihm einen Krug.
Sebastian zog den Brief aus seinem Wams und hielt ihn triumphierend hoch.
«Ich hätte ihn fast übersehen, er lag, in ein Stück Sackleinen gewickelt, ganz hinten in einer Schublade. Vielleicht ist es gar nicht der richtige …»
«Gib her!» Helena griff ungeduldig nach dem hellen Fleck in der Dunkelheit und verschwand hinter einem Wagen. Ein trübes Öllämpchen brannte unter dunklen Tüchern, die sie zwischen den Wagen gespannt hatte, damit der Lichtschein sie nicht verraten konnte. Sie entzündete zwei Kerzen an der Lampe, erbrach das schlichte Wachssiegel und hielt den Bogen nahe an die Kerzen.
«Sag schon», wisperte Rosina heiser, «ist es der Brief?»
Helena blickte in die vom flackernden Licht gespenstisch beleuchteten Gesichter, dann reichte sie Sebastian den Bogen.
«Du hast ihn gefunden», flüsterte sie feierlich, «lies vor.»
Sebastian nahm einen großen Schluck aus dem Krug und begann zu lesen.
Behutsam schloss Claes die Tür von Martins Krankenzimmer und ging die Treppe hinunter. Er musste nachdenken, und das ging in seinem Kontor am besten.
Die lauen
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