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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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vermieten. Außerdem hatte Schreiber Behrmann bis zum Ende des Aprils bezahlt, und niemand hatte Anspruch auf seinen Nachlass angemeldet.
    Es war nicht viel. Seine Kleider im Schrank, immerhin von wirklich guter Qualität, sein Bettzeug, ein samtbezogener Sessel und zwei kleine Truhen mit allerlei Persönlichem. Nichts von echtem Wert, das hatte sie schon überprüft. Die restlichen Möbel gehörten bis auf den kleinen Tisch mit dem hübschen knöchernen Knauf an der Schublade Frau Adelus.
    Und nun lag sie krank im Bett, konnte weder die Wohnung räumen noch neue Mieter suchen. Sie nahm nicht jeden. Irgendein Pöbel kam ihr nicht ins Haus, nur ordentliche Leute, mit Vorliebe alleinstehende Herren in sicherer Position. Aber die waren rar und wurden immer schnell geheiratet. Sie hatte schon einige an ein neues eigenes Heim verloren. Sie selbst hatte stets das Nachsehen. Zum Glück war sie nicht auf einen Ehemann angewiesen. Ihr Haus war das schmalste am Rödingsmarkt, aber drei Stockwerke hoch, aus solidem Fachwerk und mit schöner Backsteinfassade. Es gehörte ihr ganz allein.
    Die Putzmacherei im Erdgeschoss ernährte sie gut, ihre Künste waren bei den Hamburger Damen gefragt, und die Miete für die Wohnung im obersten Stockwerk war ein angenehmes Zubrot.
    Seit Adelus vor zwölf Jahren auf einem Großsegler verschwunden war – er hatte versäumt, sich von ihr zu verabschieden, und war nie wiedergekehrt –, lebte sie allein mit ihrer Magd im ersten Stock. Sie war eine gute Partie, aber das behielt sie für sich.
    Behrmann war in all den Jahren ihr liebster Mieter gewesen. Ein ruhiger Mann, bescheiden und höflich, leider allzu höflich, und nun war er tot, erstochen beim Zollhaus, nur ein paar Schritte von ihrem Haus. Er war keiner, der sich im Wirtshaus betrank, seine tödlich endende Eskapade empfand sie als eine große Rücksichtslosigkeit.
    Heute Nachmittag hatte jemand Klara vor dem Haus angesprochen und nach der Wohnung gefragt, ein schöner junger Mann mit klarem Gesicht und breiten Schultern. Ob seine Kleider aus gutem Tuch und seine Schuhe aus feinem Leder waren, hatte sie nicht gewusst. Die jungen Dinger achteten nie auf das Wichtige. Klara hatte ihm die Fenster im dritten Stock gezeigt und auch erwähnt, dass die Schlafkammer ein Fenster nach hinten zum Fleet hatte, was ruhigen Schlaf bis in den Morgen versprach, wenn in der Twiete schon die Karren über das Pflaster polterten. Die Kranwinde sei zwar direkt neben dem Fenster, aber die werde selten vor Mittag benutzt, weil die Lieferanten um diese späte Stunde weniger Bringegeld forderten.
    Frau Adelus’ Füße wurden kalt. Sie zog sie wieder unter die Decke, rollte sich auf die Seite und versank doch noch in tiefen Schlaf.
    Der untreue Adelus tauchte aus dem Dunkel auf und kämpfte, wie so oft in ihren rachsüchtigen Träumen, mit dem Fliegenden Holländer um sein Leben. Der Traum endete stets mit Adelus’ schaurigem Todesschrei, und jedes Mal erwachte seine verlassene Gattin erfrischt und zufrieden.
    Diesmal gab es keinen Schrei, stumm und leichtfüßig wie in einem Tanz bewegten sich die beiden Schattengestalten durch ihren Traum, nur ab und zu schepperten und knarrten die Decksplanken wie rutschende Dachpfannen und wie Dielen eines alten Hauses. Schließlich kam ein Sturmwind und wehte die Kämpfer mit quietschendem Jaulen davon.
    Beunruhigt erwachte sie. Ihr gefiel dieser Traum mit seinem üblichen Ausgang, und sie wünschte keine Veränderung. Was war das für ein seltsam vertrautes Geräusch gewesen? Sie schlug die heiße Decke zurück und setzte sich schwer atmend auf die Bettkante. Das Fieber war gesunken, aber ihr war furchtbar schwindelig.
    Da, wieder dieses Quietschen.
    Ein kalter Schauer rieselte ihren schwitzenden Rücken hinab, sie starrte gebannt auf die Tür, aber nichts bewegte sich. Zitternd schlüpfte sie in ihre Pantoffeln und schlich zum Fenster. An der Kranwinde, die am hinteren Giebel für den Transport der Lasten auf den Dachboden angebracht war, schaukelte im kräftig auffrischenden Nachtwind das lange Seil.
    Entschlossen riss sie das Fenster auf. Egal, ob die Nachtluft sie töten würde, wenn ihr Eigentum in Gefahr war, wurde sie todesmutig. Sie musste wissen, was da draußen vorging.
    Das Seil war nicht fest verknotet. Es riss sich von seiner Verankerung los, flatterte frei im Wind und fiel klatschend in das Fleet. Und weil der Zorn der Geizigen stets größer ist als die Angst, beugte sie sich tapfer aus dem Fenster und

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