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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Frühlingsnächte waren wieder vorbei. Es hatte am Nachmittag heftig geregnet, der kalte Nachtwind zog durch alle Fensterritzen und kämpfte gegen die Wärme des Kachelofens. Bevor Claes die schweren Gardinen vor die Fenster zog – Nielsen hatte mal wieder vergessen, dass das zu seinen täglichen Pflichten gehörte –, blickte er aufmerksam auf den Neuen Wandrahm hinaus.
    Niemand war zu sehen. Nicht einmal ein Kater streunte am Fleet entlang. Die Nacht war stockdunkel, und Claes hoffte, dass die Schatten, die sich eng an das große Portal drückten, seine beiden Wächter waren.
    Alles war still. Die Stadt schlief.
    Die Standuhr zeigte schon auf ein Viertel nach elf, aber er konnte jetzt unmöglich schlafen. Das Chaos seiner Gefühle hielt ihn hellwach.
    Er war unendlich froh, dass Martins Genesung nun sicher schien. Zwar schlief er immer noch diesen unergründlich tiefen Schlaf, aber das Fieber war verschwunden, er atmete tief und gleichmäßig, und sein Gesicht hatte wieder einen rosigen Schimmer.
    Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Er war schreckhaft geworden in diesen Tagen. Vielleicht auch nur wachsam. Leise ging er zur Tür, öffnete sie behutsam und lauschte mit angehaltenem Atem. Nichts, es war wieder ganz still im Haus. Wahrscheinlich war Augusta in Martins Zimmer auf und ab gegangen, um die vom langen Sitzen steifen Glieder zu strecken.
    Claes hatte den ganzen Abend mit ihr im Zimmer des Kranken gesessen und darauf gewartet, dass Martin erwachte und endlich sprach. Auch wenn er nicht gleich alles erzählen konnte, ein Name, ein kleiner Hinweis hätten genügt, um Joachim freizusprechen. Nie war ihm Martins Geheimnis so wichtig erschienen wie heute Abend. Doch Martin war nicht aufgewacht. Er sprach auch nicht mehr im Schlaf. Aber vielleicht schon morgen, hatte die Kräuterfrau versichert, konnte er aufwachen.
    Die verschrumpelte Alte hatte wahre Wunder an Martin bewirkt. Kletterich sollte sich mit seiner Quacksalberei zum Teufel scheren. Was für ein Glück, dass die Influenza den Arzt ins Bett gezwungen hatte.
    Seltsam, er hatte nie gewusst, dass Elsbeth eine Tante hatte? War sie nicht als Waisenkind ins Haus gekommen? Ob Tante oder nicht, sie verstand sich offenbar nicht nur auf das Heilen der Körper. Seit sie den Kranken besuchte, hatte auch Sophie viel von ihrer alten Fröhlichkeit und Zuversicht wiedergefunden. Und auch wenn er es nicht gerne zugab, das Minzöl milderte seine Kopfschmerzen beträchtlich.
    Die Hoffnung auf Martins Erwachen war der einzige Grund, warum Claes nicht gleich nach dem Gespräch mit Anne zu Joachim gegangen war. Es gab bisher keinen Beweis für seine Schuld, und da war immer noch eine Chance, dass alles nur ein schrecklicher Irrtum war.
    Claes lehnte sich mit dem Rücken gegen den Kachelofen, die Wärme drang tröstlich durch seinen Rock.
    Noch vor zwei Wochen war seine einzige Sorge die Suche nach den profitabelsten Kaffeelieferungen gewesen, sein Leben verlief geregelt, und das Gleichmaß seiner Gefühle war durch nichts aus dem Takt zu bringen. Er hatte keinen Anlass gehabt, darüber nachzudenken.
    Jedenfalls meistens. Er erinnerte sich an den Anflug von Neid und Sehnsucht, als der junge Marquis Jouffroy d’Abbans auf Jersey mit glühendem Gesicht für seine Dampfschiff-Ideen focht. Oder als der kleine Friedrich Reichenbach aus Sachsen in Jensens Kaffeehaus so leidenschaftlich für die Gleichheit der Menschen gesprochen hatte.
    Reichenbach?
    Hoffnung blitzte auf und zerplatzte wie eine Seifenblase.
    Nein. Nicht Reichenbach. Briefe gegen die Sklaverei passten zwar gut zu ihm. Aber der hübsche kleine Sachse hatte Courage und hielt seine Meinung nicht zurück. Der schrieb keine anonymen Briefe, sondern kämpfte mit offenem Visier.
    Hoffentlich hatte er seinen Söhnen auch ein wenig von diesem aufrechten Kampfgeist mitgegeben.
    Mitgegeben? Hatte er ihn denn selbst?
    Er dachte an Anne, wieder an Anne. Ihr Blick, der Druck ihrer Hände gaben ihm auch jetzt noch Kraft. Sie war ihm nie so nah gewesen. Warum hatte er sie nicht geküsst? Sie musste ihn für einen alten Tölpel halten! Sein Mangel an Mut in Liebesdingen war hoffentlich nicht ihr einziger Maßstab.
    Claes holte ein Glas und die Portweinkaraffe aus dem Schrank und goss sich ein. Sein Bein schmerzte trotz des heftigen Windes nicht, und auch der Kopf war heute klar und frei von dem quälenden eisernen Ring.
    Er zog den Stuhl mit den Löwenfüßen neben den Kachelofen, setzte sich und bedachte noch einmal alle

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