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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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ihr federgeschmücktes Hütchen auf der kunstvoll aufgetürmten Frisur zurecht, die wie so oft ein wenig verrutscht war. Nervös zerkrümelte sie ein Korianderplätzchen über dem Teller. Das Ticken der italienischen Standuhr klang in ihren Ohren wie die Schläge einer Totentrommel.
    Claes, der steif am Postregal lehnte, sah grimmig auf sie herab. «Und Ihr seid sicher, dass Ihr Braniff und Matthews trauen könnt? Dass stimmt, was sie erzählen?»
    Anne nickte. «Ganz sicher.»
    Sie verschwieg, dass sie nicht bei Thomas Matthews wohnte, weil er ein ferner Cousin war, sondern um herauszufinden, ob er an dem Komplott gegen Claes beteiligt war.
    Aber diesen Verdacht hatte sie schon nach wenigen Tagen begraben. Thomas war ein großes, vergnügtes Kind, dem nichts mehr Freude machte als eine Partie Billard, ein gutes Essen und ein lauter Abend mit Freunden. Seine Geschäfte liefen besser, als die Hamburger vermuteten, und auch wenn Claes ihn nicht mochte, so bewunderte und verehrte der junge englische Kaufmann den älteren Deutschen doch vorbehaltlos. Er würde Claes niemals wissentlich schaden, und er hatte auch keinen Grund dazu. Jedenfalls keinen, den Anne kannte.
    Aber wie Jules Braniff war auch Matthews Joachim van Stetten in dessen Londoner Jahren begegnet. Gestern Abend, bei einer ausdauernden Partie Whist – Annes Zofe hatte als Jules’ Partnerin die glühende, aber glücklose Vierte gespielt –, begannen die Männer zu plaudern. Anne war für sie fast wie eine Schwester, es gab keinen Grund, die Themen der Unterhaltung zimperlich abzuwägen.
    «Er ist Euer Freund, Claes. Und mir scheint, Ihr liebt ihn wie einen Bruder. Jules wollte Euch nicht verletzen. Nur deshalb hat er vorgestern Abend nicht alles erzählt. Aber ich glaube jetzt, dass Ihr alles wissen müsst. Egal, ob …» Sie schluckte und suchte nach den richtigen Worten, «… ob es von Bedeutung ist oder nicht. Monsieur van Stetten hat ja in London mehr als nur ein wenig gespielt. Es sind enorme Summen, auf seinen Schuldscheinen drängen sich die Nullen. Und die Clubs, in denen er am liebsten spielte, waren, waren …»
    «Ja? Was waren sie?»
    «Nun, sie waren nicht
nur
Spielclubs. Da waren auch Damen. Wie soll ich sagen? Besonders grelle Damen, versteht Ihr?»
    Claes verstand. Joachim hatte schon früher eine Schwäche für teure käufliche Damen gehabt, und es war mehr als wahrscheinlich, dass zumindest Braniff aus eigener Anschauung so genau über Joachims Abenteuer in diesen Clubs Bescheid wusste.
    Es klopfte, und der jüngste Schreiber steckte vorsichtig den Kopf durch die Tür.
    «Nein, Nielsen, jetzt nicht. Mach die Tür zu. Von außen.»
    Der Schreiber zögerte. «Es ist wichtig, Herr. Der Bote von der Börse …»
    «Später, Nielsen. Mach die Tür zu und sag dem Boten, er soll warten.»
    Nielsen schloss eilig die Tür, und Claes nahm wieder seine unruhige Wanderung durch das Kontor auf.
    «Viele haben Schulden. Das gehört zum Kaufmannsleben, auch wenn man sich nicht in Spielclubs und mit – grellen Damen herumtreibt. Deswegen werden die Leute nicht gleich zu Attentätern. Und genau das wolltet Ihr mir doch damit sagen: Mein bester Freund hat erdrückende alte und überfällige Schulden in London und ganz ähnliche neue in Hamburg und Altona. Er ist ein schlechter Mensch, und deshalb versucht er, mich zu ruinieren. Oder gar zu töten.»
    Claes’ Stimme war laut und schneidend geworden.
    «Ich habe es befürchtet.»
    Anne stand abrupt auf, legte ihren Mantel um und streifte die Seidenhandschuhe über ihre zitternden Hände. «Ich hätte nicht herkommen sollen. Es war ein Fehler, Euch davon zu erzählen. Ich hoffe für Euch, Ihr habt recht, und meine Sorge ist nichts als die Verleumdung Eures Freundes. Aber kennt Ihr ihn wirklich so gut? Und ist es wirklich ein Zufall, dass seine größte Schuld gerade jetzt fällig wird? Er wird sie nicht bezahlen können. Kein Kaufmann kann so eine Schuld bezahlen, ohne sein Geschäft zu ruinieren.»
    Sie sah ihn mit zornig blitzenden Augen an. Dieser halsstarrige Mann, treu wie ein Setter und so fest in seinen Traditionen und Normen, dass er lieber blind in sein eigenes Unglück stolperte, als einem Freund Schlechtes zuzutrauen. Ohne ihn noch einmal anzusehen, drehte sie sich um und ging hastig zur Tür. Wenn sie nicht sofort dieses stickige Kontor verließ, würde sie schreien.
    «Anne!» Claes’ Stimme hatte plötzlich alle Strenge verloren. «Verzeiht», flüsterte er rau. «Bitte, geht

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