Tod am Zollhaus
die Holztüren der Ladeluken klappern.
«Claes?»
Gleich würde er kommen, ihr die Hand reichen und sie die letzten schmalen Stufen sicher hinaufführen. Gleich – sie glaubte nicht mehr daran, aber nun war sie gefangen. Es gab kein Zurück, also ging sie vorwärts. Langsam wuchs der Zorn über ihre Angst hinaus.
Am Ende der Treppe zum dritten Boden stand im flackernden Licht eine schlanke Gestalt. Das Licht hinter seinem Rücken ließ sein Gesicht im Dunkeln.
«Willkommen.» Sie hörte ein leises Lachen.
«Ich habe nicht geglaubt, dass Ihr meinem Boten folgen würdet. Es ist unschicklich.»
Joachim van Stetten hob eine Laterne und trat mit galanter Bewegung zur Seite.
«Und gefährlich. Ihr seid eine ungewöhnliche Frau. Aber vielleicht hat Euch die Liebe zu meinem alten Freund nur dumm und blind gemacht. Ihr liebt ihn doch?»
«Das geht Euch überhaupt nichts an. Und wenn Ihr mich für so töricht haltet, mitten in der Nacht mit einem Fremden zu gehen, ohne dass es jemand weiß, seid Ihr dümmer, als ich dachte. Mein Cousin und Captain Braniff …»
«… sind heute Morgen nach Lübeck gereist.» Er lachte leise, fast tonlos. Ein Lachen wie ein eisiger Hauch.
Seit der Bote den Balken mit dumpfem Knall vor die Tür fallen ließ und sie allein die Treppe hinaufschickte, hatte Anne gewusst, dass sie in eine Falle gelaufen war. Sie hatte sich gegen die Wahrheit gewehrt. Aber nun war es geschehen. Allein stand sie Claes’ gefährlichstem Feind gegenüber. Nun war er auch ihr Feind.
Joachim hatte eine gespenstische Kulisse aufgebaut. Zwischen zwei brokatbezogenen Lehnstühlen glitzerten auf einem kleinen runden Mahagonitisch Gläser und eine Weinkaraffe aus geschliffenem Kristallglas. Blutrote Tücher waren über ein paar Säcke, Fässer und in ranzig riechendes Ölzeug gerollte Ballen gebreitet. In der Mitte stand, einem Altarbild gleich mit Kerzen erleuchtet, das goldgerahmte Portrait einer Frau.
«Was soll diese alberne Posse? Was wollt Ihr von mir?»
«Setzt Euch», er nahm ihren Arm und führte sie mit festem Griff zu einem der beiden Stühle. «Ich will Euch mit einer Dame bekannt machen.» Er nahm die Karaffe und füllte die beiden Gläser. «Ihr müsst mit mir ein Glas Burgunder auf ihr Wohl trinken. Trinkt!»
Zögernd nahm Anne das Glas. Er war verrückt. Trank sie, so würde auch er trinken. Wenn er viel trank, konnte sie vielleicht entkommen.
Er leerte sein Glas in einem Zug.
«Trinkt! Trinkt auf Marias Wohl.»
Anne nippte an ihrem Glas.
«Maria? Ich kenne sie nicht. Sie interessiert mich auch nicht. Warum habt Ihr Behrmann getötet?»
Joachim, der sein Glas gegen das Bild gehoben hatte, fuhr herum und starrte sie an. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer wütenden Maske. «Behrmann! Der Bastard war ein Versager, ein Feigling und Verräter. Er hat Claes verehrt wie einen Kaiser, hat willig Jahr für Jahr den Schreiber gespielt, ein glücklicher Knecht seiner noblen Familie, die nichts von ihm wusste und nichts von ihm wissen wollte.» Er kicherte böse.
«Der Hass auf seinen Bruder war nicht leicht zu wecken. Aber dann brannte er lichterloh. Seit dem letzten Sommer war er
mein
Büttel. Und dann, so kurz vor dem Ziel, fasst ihn die Reue! Claes’ Unfall auf Eurer Insel hat ihn erschreckt. Die zarte Seele wollte beichten, wollte sich der Gnade seines Bruders ausliefern. Der Gnade! So ein Narr! Er wollte sich vernichten und mich mit in sein Unglück reißen. Aber das ist ihm nicht gelungen. Und wenn Ihr jetzt hier seid, ist es seine Schuld. Trinkt, Mademoiselle von der stillen Insel. Trinkt.»
Anne leerte tapfer ihr Glas. Er trank ja Wein aus der gleichen Karaffe. «Ihr habt Euch ganz allein in Euer Unglück gerissen. Ihr werdet alles verlieren. Ich verstehe nicht, was Ihr da erzählt, aber glaubt Ihr wirklich, Ihr kommt davon? Nach all diesen Verbrechen? Claes weiß, was Ihr getan habt, und egal, was Ihr mit mir plant, Ihr habt längst verloren.»
Er beugte sich mit einer schnellen Bewegung über sie, sie spürte seinen heißen Atem und roch den kalten, sauren Schweiß seiner Erregung.
«Wisst Ihr nicht, dass ich ein Spieler bin? Nichts macht mehr Lust als ein tödlich hoher Einsatz. Aber wenn ich verliere, soll auch der andere nicht gewinnen.»
Mit geballten Fäusten breitete er die Arme aus, verflogen waren sardonische Freude und Selbstgewissheit, seine Stimme überschlug sich schrill.
«Er hat immer gewonnen. Immer war er der Erste. Zuerst hat er mir Daniel weggenommen und dann»,
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