Tod & Trüffel
dich wohlauf zu sehen. Ich habe gehört, du hast mit Laetitia geplauscht. Es freut mich, wenn man sich im Rudel gut versteht.« Er stieg von seinem Stein, ging einige Schritte zur Höhle, aus der immer noch Laetitias Duft drang, und sog tief ein.
»Doch jedes Rudel muss auch zu Opfern bereit sein, Aurelius«, fuhr Grarr fort. »Muss sich von einzelnen Wölfen lösen, wenn Zeit und Umstände es verlangen. Nun ist ein solcher Zeitpunkt gekommen, und ich muss das größte denkbare Opfer bringen: meinen Bruder.«
Aurelius wusste, er sollte Angst haben, doch er fühlte nur eine Leere, weder Glück noch Leid, nur eine Taubheit des Herzens. Laetitia hatte so Recht, er war ein Teil des Rudels, und Grarr war dessen denkender Kopf. Jedes Auflehnen, gerade von einem alten Wolf wie ihm, war, als versuche eine humpelnde Pfote das Haupt zu verletzen. Sie schadete nur sich selbst. Und wenn sie abgebissen werden musste zur Gesundung des gesamten Tieres, so war dies richtig.
»Ich muss dich fortlassen, Bruder. Auf eine sehr wichtige Mission, deswegen vertraue ich sie auch nur dir an. Du musstzum Herrscher der Gebirgswölfe gehen, denn wir werden bald deren Hilfe brauchen. Indem ich dich entsende, zeige ich, wie wichtig sie mir sind. Du weißt, dass der Herrscher uns nicht wohlgesinnt ist, dass er uns, die wir so nahe den Menschen leben, für schwach hält, für lebensunwert. Doch du wirst ihn sicher davon überzeugen können, uns bei der Verteidigung Rimellas zu unterstützen. Ich kann dir leider keine Eskorte auf die gefährliche Reise mitgeben, da ich hier jeden Wolf – und jede Wölfin – brauche. Doch wozu benötigt ein erfahrener Jäger wie du auch eine solche? Du musst sofort aufbrechen, Bruder. Es ist keine Zeit zu verlieren. Ich verlasse mich auf dich.«
Aurelius erhob sich und schleppte sich träge zum Rand der kleinen Lichtung. Er sah sich nicht um, er ging ohne einen letzten Blick, ohne einen Abschied. Er sah nicht, dass Laetitia zur Lichtung gekommen war. Sie schaute lange in seine Richtung, sogar als er bereits zwischen den Bäumen verschwunden war und nur noch sein Duft schwer wie Nebel in der Luft lag.
Niccolò wankte durch das düstere Dorf auf der Hügelspitze, als hätte er vergorene Äpfel gefressen. Doch es waren nur sein Kopf, der durch den einseitigen Kampf mit dem Bullterrier durchgeschüttelt worden war, und das fehlende Blut, die seine Wahrnehmung trübten. Die Schrammen an seiner rechten Flanke brannten, und die fehlende Ohrspitze merkte er bei jedem Luftzug.
Niccolò wollte zu Menschen, wollte Wärme und Frieden und Sicherheit, wollte ein neues Rudel, das ihn schützte und pflegte. Er wünschte sich eine streichelnde Hand mehr noch als einen vollen Napf. Doch die Fensterläden des Bergdorfes waren alle geschlossen, und die Türen öffneten sich auch durch Kratzen nicht. Sein Geheul brachte ihm nur ein aufgerissenes Fenster und einen auf ihn geschüttetenEimer Wasser ein. Niemand wollte ihn bei sich haben.
Niccolò legte sich hin, da wo er war, auf der Straße. Ihm fehlte nicht die Kraft, ihm fehlte die Lust weiterzulaufen. Wohin denn auch? Die Menschen wollten ihn nicht hereinlassen, und Hunde vertrieben ihn selbst aus zugigen Hütten. Sacht legte er den Kopf auf seine ausgestreckten Vorderpfoten und schloss die Augen.
Er würde nicht mehr kämpfen, nie wieder. Für nichts. Es war die Schmerzen nicht wert. Er war schnell, er konnte laufen, fliehen. Wenn es doch nur ein Wohin gäbe. Doch er würde nicht nach Rimella zurückfinden und zu seinem Menschenrudel auch nicht. Denn wie sollte er sie aufspüren? Er hatte eine kleine Nase, und sein angezüchteter Orientierungssinn kannte nur eine Richtung: nach vorne. Ganz schnell.
Er bräuchte einen Hund mit einer wirklichen Nase, einen geborenen Finder. Und er bräuchte den besten, denn alle Menschen seines Dorfes waren verschwunden.
Wo sollte es eine solche Nase geben? Keiner der Hunde in Rimella war mit einem derartigen Talent gesegnet gewesen.
Eine Nase wie der legendäre Giacomo müsste der Hund haben. Eine Nase, die durch den Boden riechen konnte, die das Versteckte ausfindig machte. Und es brauchte auch einen Hund mit dem Willen Giacomos, der niemals aufgab, bevor der Trüffelkorb voll war, bevor nicht alles entdeckt war. Und er müsste ein Kämpfer wie Giacomo sein, der sich nicht von Sturmregen, nicht von Eis und Hagel abhalten ließ, der suchte, weil die Suche sein Leben war, die Suche und sonst nichts.
Giacomo.
Er musste nach Alba. Der
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