Tod an der Ruhr
wenn er zu Fuß hinüberging zum Komptoir der Hütte. Und den Herrn Jacobi, den sah er immer mal wieder im schnittigen Zweispänner vorbeifahren, wenn er von Sankt Antony herunterkam nach Sterkrade. Aber gesprochen hatte er noch nie mit einem der beiden Hüttenherren.
»Schön, Herr Polizeisergeant, dass Sie kommen konnten«, sagte Louis Haniel freundlich und reichte Grottkamp die Hand wie einem alten Bekannten. Der junge Herr Jacobi grüßte ihn nicht minder freundlich.
»Setzen wir uns doch!«, schlug Louis Haniel vor. »Ich denke, hier in der Ecke können wir uns ungestört unterhalten. Wie wäre es mit einem Gläschen Wein?«
Hugo Jacobi und Carl Lueg nickten, und Grottkamp sagte: »Ja, gerne.«
»Und du willst nichts trinken, Carl?«, wollte Haniel von Overberg wissen.
»Entschuldige, Louis. Doch natürlich, ein Glas Wein hätte ich auch gerne.«
Grottkamp nahm das vertraute Du, mit dem der Hüttendirektor und der Gemeindevorsteher einander anredeten, erstaunt zur Kenntnis. Dass die beiden Herren es so gut miteinander konnten, hatte er nun doch nicht vermutet.
Die Freundlichkeit der Hüttenbarone und die Spritzigkeit des Moselweins sorgten dafür, dass Martin Grottkamp sich allmählich entspannte. Als Jacobi das trübe Sonntagswetter beklagte, hielt er mit seiner Meinung zu diesem Thema nicht hinter dem Berg. Seine Erkenntnis, dass das Wetter in der modernen Industriewelt sich immer seltener an die alten Bauernregeln halte, schien die Herren außerordentlich zu interessieren.
»Da zeigt sich einmal mehr, dass der Herr Polizeisergeant ein ganz ausgezeichneter Beobachter ist«, bemerkte Lueg.
»Sonst wäre ihm wohl auch nicht dieser junge Mann aus England aufgefallen«, fügte Jacobi hinzu.
Um festzustellen, dass ein vornehm gekleideter Herr, der seine Rechnung im Voraus bezahle, nicht ins Gasthaus »Zum dicken Klumpen« passe, bedürfe es keiner ungewöhnlichen Beobachtungsgabe, gab Grottkamp sich bescheiden. Und die eigenartigen Erklärungen des Mannes für seinen Aufenthalt in Sterkrade, die hätten wohl jeden stutzig gemacht, fügte er hinzu. Nachdem dieser Edward Banfield sich zunächst als harmloser Reisender ausgegeben habe, behaupte er jetzt, ein Journalist zu sein.
»Vergessen Sie nicht sein auffälliges Bemühen, mit Arbeitern der Gutehoffnungshütte in Kontakt zu kommen!«, warf Overberg ein.
»Uns hat das alles besonders deshalb hellhörig gemacht, weil es sich bei dem jungen Mann um einen Engländer handelt«, erklärte Haniel.
»Sie glauben, Banfield könnte ein englischer Industriespion sein?«, fragte Grottkamp unumwunden.
Jacobi und Lueg lachten, und Louis Haniel antwortete erheitert: »Nun, Herr Grottkamp, mit dieser Bezeichnung sind wir lieber ein wenig zurückhaltend. Wissen Sie, deutsche Industrielle haben sich jahrzehntelang ganz gerne bei den Engländern umgesehen, und sie hätten sicher was dagegen, wenn wir heute ihre Neugier als Spionage bezeichnen würden.
Mein Vater hat zum Beispiel schon 1817 den Versuch unternommen, den Engländern etwas von ihrem Wissen zu entlocken. Damals war Mister James Watt junior, der Sohn des Erfinders der Dampfmaschine, auf dem Rhein unterwegs, mit einem der ersten Dampfschiffe. Ein Maschinenschaden zwang ihn, in Ruhrort vor Anker zu gehen. Er bat Gottlob Jacobi und meinen Vater um Hilfe bei der Reparatur. So lernten James Watt junior und Franz Haniel sich kennen. Bald darauf hat mein Vater Mister Watt besucht. Er hatte natürlich gehofft, der Engländer würde ihm seine Fabrik zeigen. In Sterkrade war zwar schon 1814 die erste Dampfmaschine hergestellt worden, aber die Technik steckte noch in den Kinderschuhen, und so weit wie die Engländer waren wir noch längst nicht. Mein Vater wurde ausgesprochen höflich von James Watt empfangen, wurde zum Essen und in die Oper eingeladen, aber die Maschinenfabrik bekam er nicht zu sehen. Er ist damals ziemlich enttäuscht und verärgert aus England abgereist. Wenn ich mich richtig erinnere, hat er nicht mal mehr Watts Einladung in die Oper angenommen.«
»Wir haben es ja dann auch ohne englische Hilfe geschafft«, warf Hugo Jacobi ein. »1820 waren wir soweit, dass wir mit Dampfmaschinen der Gutehoffnungshütte die gesamte deutsche Industrie beliefern konnten. Und zehn Jahre später lief in unserer Werft in Ruhrort die ›Stadt Mainz‹ vom Stapel, der erste in Deutschland erbaute Rheindampfer.«
»Das änderte allerdings nichts daran, dass die englische Industrie uns immer noch ein paar Schritte
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