Tod an der Ruhr
Erkenntnissen über Mister Banfield zu berichten. Er erklärte den Hüttenbaronen ohne Umschweife, dass er aufgrund seiner bisherigen Nachforschungen den Verdacht gewonnen habe, Mister Banfield versuche sehr gezielt, aufwieglerisches Gedankengut innerhalb der Sterkrader Arbeiterschaft zu verbreiten. Jedenfalls wisse er, dass Banfield einige Hüttenarbeiter dazu ermuntert habe, gegen das Dreiklassenwahlrecht und für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.
»Das sind die Parolen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins«, sagte Carl Lueg kühl.
»Da wird er in Sterkrade kaum offene Ohren finden«, vermutete Jacobi.
»Aber warum reist ein junger Engländer mit solchen Parolen durchs Königreich Preußen? Was treibt ihn dazu?«, fragte sich Louis Haniel.
»Nun, wenn es bei der lästigen Konkurrenz nichts auszuspionieren gibt, dann könnte man sie vielleicht dadurch schwächen, dass man Unruhen in ihre Arbeiterschaft trägt«, spekulierte Overberg.
»Ein interessanter Gedanke«, sagte Lueg.
»Nach allem, was Grottkamp herausgefunden hat, können wir diesem Mister Banfield sofort untersagen, sich weiterhin in der Gemeinde Sterkrade aufzuhalten«, schlug Overberg vor.
»Lieber wäre mir, wenn der Herr Polizeisergeant ihn weiter beobachten würde. Ich wüsste schon ganz gerne, was dieser Mensch wirklich im Schilde führt und gegebenenfalls auch, wer seine englischen Auftraggeber sind«, erklärte Haniel.
»Vielleicht ist er ja wirklich nur ein Journalist, der über die aufblühende Industrie an Ruhr und Emscher berichten will«, überlegte Hugo Jacobi.
»Dann würde er nicht versuchen, unsere Arbeiter aufzuwiegeln«, widersprach Carl Lueg.
»Außerdem hätte ein Journalist schon längst um ein Gespräch mit der Hüttenleitung und um eine Werksbesichtigung nachgesucht«, sagte Louis Haniel.
NEUNZEHN
»Einen guten Eindruck haben Sie hinterlassen, Grottkamp. Einen wirklich guten! Die Herren waren ganz angetan von Ihnen. ›Der Mann, der geht mit offenen Augen durch die Welt, der lässt sich nichts vormachen‹, hat Louis Haniel über Sie gesagt. Bei so einem Polizeidiener brauche einem nicht bange zu werden um die Ordnung in der Gemeinde Sterkrade, hat er gemeint.«
Grottkamp saß in der Amtsstube des Gemeindevorstehers am Rande des rot in rot gewebten Teppichs und war auf der Hut. Dass die Hüttenchefs ihn für einen tüchtigen Ordnungshüter hielten, das freute ihn schon. Aber dass Carl Overberg die Komplimente der Herren in aller Ausführlichkeit an ihn weitergab, das machte ihn vorsichtig. Wenn sein Vorgesetzter ihn mit Lob überschüttete, dann musste irgendwas dahinterstecken.
»Wir haben noch eine ganze Weile über Banfield gesprochen, als Sie gestern Abend gegangen waren«, fuhr Overberg fort. »Mein Gedanke, dass dieser Kerl im Auftrag der englischen Industrie hier ist, um Arbeiterunruhen zu schüren, hat die Herren sehr beeindruckt. ›Eine scharfsinnige Überlegung‹, hat Jacobi gemeint, und Lueg hat gesagt, meine Schlussfolgerung sei eine absolut logische Erklärung für das seltsame Verhalten des Mister Banfield.«
Darum geht es dem Overberg also, überlegte Grottkamp. Der Herr Vorsteher belobigte ihn, um anschließend ungeniert die Komplimente breittreten zu können, die er selbst von den Hüttenherren bekommen hatte.
Sterkrades Gemeindevorsteher stand mit verschränkten Armen hinter seinem Stehpult, glatt frisiert und adrett gekleidet wie immer.
Dass sein Polizeisergeant so mürrisch zu ihm aufblickte, als wäre er gerade aufs Schärfste getadelt worden, irritierte ihn nur für ein paar Augenblicke. So war er nun mal, dieser Querkopf. Wenn man ihn rüffelte, zeigte er sich bockig, und wenn man ihn lobte, schien es ihm auch nicht recht zu sein.
Aber was sollte es? Grottkamp war ein tüchtiger Polizeidiener.
Dass sogar die Hüttenchefs das bemerkt hatten, hob Overbergs Stimmung. »Einen guten Mann haben Sie da«, hatte Jacobi gesagt. »Der weiß, worauf es ankommt«, hatte Lueg hinzugefügt. Und dann hatte Haniel selbst es auf den Punkt gebracht: »Je besser der Vorgesetzte ist, desto besser sind seine Untergebenen. Das gilt in der Verwaltung ebenso wie in der Industrie.«
Wie recht er hatte, der Herr Generaldirektor! Wohin würde der Diensteifer eines Martin Grottkamp schon führen ohne die klaren Anweisungen eines weitsichtigen Vorgesetzten? Sicher, dieser knorrige Offiziant verfügte über einen durchaus scharfen Blick. Aber die richtigen Schlussfolgerungen aus seinen Beobachtungen, die
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