Tod an der Ruhr
herausgezogen, die neben dem Bett des Klumpenwirts stand, und da hatten sie ihm entgegengelächelt: Eine dralle Dirne, die mit hochgeschobenen Röcken und gespreizten Schenkeln auf einem Kanapee lag, ein kokettes Weibsbild, das sich mit einem Fächer in der Hand gänzlich unbekleidet in Pose gesetzt hatte, und jenes Mädchen mit dem scheuen Blick, das er nur allzu gut kannte.
Dass dieses Mädchen in Küppkens Kommode genauso schaute, genauso dastand, dasselbe Lächeln lächelte, genauso den Kopf geneigt hielt, auf dieselbe Weise die Finger abspreizte wie das Mädchen in seinem Büfett, verblüffte Martin Grottkamp über die Maßen. Es war gerade so, als wäre das Foto aus seiner Amtsstube auf unerklärliche Weise in Küppkens Kammer gelangt.
Allerdings war das Foto, das vor ihm lag, nicht so gewellt wie jenes, das er vor einer Woche aus Terfurths durchnässter Jacke gezogen hatte. Es war fest, glatt und fleckenlos, und als Grottkamp es in die Hand nahm, sah er darunter ein Bild liegen, das dem ersten vollkommen glich. Und unter diesem lagen noch elf oder zwölf weitere Fotos, die sich in nichts vom ersten unterschieden.
Unter der Frauenperson, die auf dem Kanapee posierte, lümmelte sich noch beinahe zwanzigmal dieselbe Frauenperson auf demselben Kanapee, und jedes Mal hatte sie ihren Rock hochgeschoben und hielt ihre Schenkel auseinandergespreizt.
Der dritte Stapel, auf dem zuoberst das kokette Weib mit dem Fächer lag, bestand aus einer Anzahl von Fotografien, die allesamt dasselbe Weib mit demselben Fächer in derselben Pose zeigten.
Grottkamp hatte die sündhaften Abbildungen zusammengepackt, in die Brusttasche seines Uniformrocks geschoben und verwirrt das Gasthaus »Zum dicken Klumpen« verlassen. Auf der Bahnhofstraße hatte er sich dann an die Anzeige erinnert, die er in der »Rhein- und Ruhrzeitung« gelesen hatte.
Jetzt saß er in der guten Stube der Witwe Weiser, hatte die oberen Knöpfe seines Rockes geöffnet und betrachtete fasziniert den hölzernen Kasten, der in der Ecke des Zimmers zwischen den beiden großen Fenstern stand.
Neben Vitrinenschrank und Standuhr, neben den beiden Sofas mit den geschwungenen Rückenlehnen, neben Kommode, Salontisch und Armlehnstühlen, zwischen all den Seidendeckchen, Plüschkissen und Brokatvorhängen wirkte dieser schäbige Holzkasten fehl am Platze. Seine Kanten maßen in der Länge etwa eine Elle, in der Breite und Höhe etwas weniger. Er war auf ein hölzernes Stativ montiert, und mitten aus der zum Zimmer gewandten Vorderseite der Kiste ragte ein kurzes Rohr heraus. Grottkamp nahm an, dass es sich bei dem Holzkasten um den fotografischen Apparat von Adalbert Hiemchen handelte.
Die Anzeige hatte in den letzten Tagen zweimal in der Zeitung gestanden: »Am Dienstag, dem 11. des Monats September, und am Mittwoch, dem 12. des Monats, bin ich in Sterkrade bei Frau Witwe Weiser in der Bahnhofstraße zur Aufnahme von Fotografien anwesend. Adalbert Hiemchen, Fotograf.«
Die Witwe hatte den Polizeidiener eingelassen und ihm versichert, der Herr Fotograf werde ihm gleich zur Verfügung stehen. Hiemchen sei nur kurz zur Metzgerei Reuschenbach hinüber, um sich ein Stück Fleischwurst zu kaufen.
Frau Weiser hatte Grottkamp in ihre gute Stube gebeten, ihm einen Platz angeboten, sich zu ihm gesetzt und sogleich damit begonnen, die Kunst des Fotografen zu preisen.
Es sei ein gar nicht hoch genug zu schätzender Glücksfall, dass ein so begnadeter Künstler zweimal jährlich den Weg von Köln auf sich nehme, um den Sterkradern die Möglichkeit zu geben, sich von ihm ablichten zu lassen. Jede seiner fotografischen Aufnahmen sei ein künstlerisches Werk von hohem Rang, befand die Witwe. Adalbert Hiemchen verstehe es, seine Modelle in die vorteilhafteste Pose zu setzen oder zu stellen, und zudem habe der Mann ein großartiges Gefühl fürs passende Interieur und fürs rechte Licht.
Wer sich von Hiemchen ablichten lasse, der könne hernach aber weit mehr als ein künstlerisches Meisterwerk sein Eigen nennen. Er besitze ein Bildnis von sich, das ihn selbst überdauern werde. Ja, dank der modernen Fotografie könne jeder Mensch ein Stück Unsterblichkeit erlangen, schwärmte die Witwe.
Habe ein Meister der Malkunst noch Wochen gebraucht, um ein Porträt auf seine Leinwand zu pinseln, so müsse Adalbert Hiemchen, der Meister der Fotokunst, seine Platte nicht mal eine Minute lang belichten, um ein Bild darauf zu bannen.
Für sie sei es eine Ehre, erklärte die Witwe Weiser,
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