Tod an der Ruhr
Dass der Handel auffliegen würde, hatte er nicht befürchten müssen. Seine Kunden betrachteten ihre unanständigen Fotografien gewiss nur im Verborgenen und hielten sie vor der Welt versteckt. Hätte einer von ihnen den Klumpenwirt angeschwärzt, dann wäre auch seine eigene Vorliebe für die sündhaften Machwerke ruchbar geworden.
Das galt allerdings auch für Julius Terfurth. Der Herr Vorarbeiter hätte sich selbst als sittenloser Strolch gebrandmarkt, wenn er kundgetan hätte, bei Küppken unzüchtige Abbilder schamloser Huren gekauft zu haben. Deshalb war es höchst unwahrscheinlich, dass Terfurth den Klumpenwirt mit dem Fotohandel erpresst hatte.
Auf der Hüttenstraße in Höhe der Kesselschmiede irrten Grottkamps Gedanken von den beiden Männern, die inzwischen unter der Erde lagen, weiter zu Grete Sander, die mit beiden das Bett geteilt hatte.
Im Fall Terfurth hatte die Sander von Anfang an versucht, ihn zu täuschen. Dass sie mit dem Hammerschmied herumgehurt hatte, hatte er von anderen erfahren. Dass sie die Syphilis hatte, hatte sie ihm ebenfalls verschwiegen.
Für Grottkamp lag es auf der Hand, warum die Schankmagd sich so sehr darum bemüht hatte, die Wahrheit zu verschleiern. Terfurth hatte sie mit der Lustseuche angesteckt und damit alle ihre Träume von einem Leben an der Seite eines begüterten Ehegatten zunichte gemacht. Ob ihre Behandlung in Köln wirklich erfolgreich war, würde sie erst nach Jahren wissen. Dass sie den Mann hasste, der ihr das angetan hatte, stand für Grottkamp außer Frage. Für ihn war Margarete Sander seit gestern die Hauptverdächtige im Mordfall Julius Terfurth.
Wenn es denn überhaupt ein Mordfall war!
Was Theodor Verstegen ihm am späten Abend in der Marktschänke erzählt hatte, ließ alle Überlegungen fragwürdig erscheinen, die er bisher zum Tod des Hammerschmieds angestellt hatte.
An der Wasserlache beim Hagelkreuz hatte also doch ein dicker, kantiger Stein gelegen, und es war sehr wohl möglich, dass der betrunkene Terfurth sich bei einem Sturz den Kopf eingeschlagen hatte. Als einziges Indiz für einen Mord blieb jetzt noch die Tabakspfeife übrig, die unter dem Toten gelegen hatte.
Das war nicht viel, wenn man es genau bedachte. Denn es war nicht auszuschließen, dass irgendein Mensch die Pfeife in der Pfütze verloren hatte, lange bevor Julius Terfurth dort gestorben war.
Von der neuen Lage hätte Grottkamp eigentlich während der morgendlichen Dienstbesprechung den Gemeindevorsteher in Kenntnis setzen müssen. Aber er hatte sich dafür entschieden, Verstegens Information noch eine Weile für sich zu behalten.
Auf der Dorfstraße, kurz vor dem Kirchplatz, kam ihm ein beladenes Fuhrwerk entgegen. Er nötigte den erstaunten Fuhrmann, sein Pferd zum Stehen zu bringen. »Was habt Ihr unter der Plane?«, fragte er zum Kutschbock hinauf.
»Besen für die Hütte, Herr Polizeisergeant. Wie immer.«
Erst jetzt erkannte Grottkamp den Mann auf dem Bock. Er war einer der Besenbinder von der Königshardt, die regelmäßig die Hüttengewerkschaft belieferten. In allen Betrieben der Hütte waren die aus jungen Birken- oder Ginsterreisern gebundenen Besen von der Hardt wegen ihrer Festigkeit und Hitzebeständigkeit äußerst gefragt.
»Nichts für ungut!«, sagte Grottkamp. »Ich hab Sie nicht gleich erkannt. Dann fahren Sie mal weiter!«
Zu dieser Stunde zwischen Morgen und Mittag waren im Dorf beinahe nur Frauen unterwegs. Einige standen vor der Clemenskirche zusammen und sprachen miteinander. Andere sahen sich die Auslagen in den Schaufenstern der Kaufläden rings um den Kirchplatz an.
Aus dem Gemischtwarenladen Lantermann kam eine junge Frau mit einem Einkaufskorb am Arm. Martin Grottkamp erkannte Martha Terfurth sofort, obwohl sie ihr Tuch über den gesenkten Kopf gezogen hatte.
Martha Terfurth bemerkte den Polizeidiener nicht. Anscheinend war sie tief in Gedanken versunken. Sie bog in die Dorfstraße ein und ging ohne Eile in Richtung Hagelkreuz. Grottkamp war nur wenige Schritte hinter ihr. Schon bald hatte er sie eingeholt. Als er an ihrer Seite war, schaute sie erschreckt auf.
»Ach, der Herr Polizeisergeant ist das«, stellte sie fest und lächelte. Martin Grottkamp gelang es, sich von diesem Lächeln nicht bezaubern zu lassen, obwohl es das Lächeln der jungen Elisabeth war.
»Es ist schön, Sie zu sehen«, sagte das Mädchen freundlich.
»Ich wünsch dir einen guten Tag, Martha«, entgegnete Grottkamp, überrascht von ihrer Freundlichkeit. Wusste
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