Tod an der Ruhr
meinen Sie, warum ich das ständige Herumreisen auf mich nehme? Man muss sehen, wie man zu seinen Talern kommt bei der Konkurrenz. Aber auch das Reisegeschäft wird immer schwieriger. Wo man im Frühjahr noch gutes Geld verdient, ist im Herbst vielleicht schon ein Berufskollege ansässig geworden. Ich bin mal gespannt, wie lange das hier in Sterkrade noch gut geht. So sieht das aus, Herr Polizeisergeant. Das Geschäft ist hart. Da kommt manch einer auf dumme Gedanken. Mit Fotos wie diesen hier kann man schnell ein paar Taler dazuverdienen. In Köln kriegen Sie solche Aktfotografien in jeder Spelunke. Dafür müssen Sie nicht mal in die Hurengassen gehen oder in die Hafengegend. Mir selbst hat man auch schon hier und da ein solches Bild angeboten, für einen Silbergroschen zumeist. Ein einträgliches Geschäft ist das. Und genügend Lohnhuren, die sich für ein paar Pfennige so ablichten lassen, finden Sie in einer Stadt wie Köln natürlich auch.«
»Huren sind das?«
»Ja natürlich! Was denn sonst?«
Käuflich war es also, das Mädchen mit dem scheuen Blick! Daran hatte Martin Grottkamp nie gedacht. Er war enttäuscht, ohne zu wissen warum.
»Ziehen Sie jetzt bitte keine falschen Schlüsse!«, forderte Hiemchen ihn auf. »Wenn man häufig mit Kollegen spricht, dann erfährt man so einiges über das Geschäft, auch über dessen Schattenseiten. Ich selbst kenne keinen Fotografen, der solche Bilder macht. Und mir, bei aller Liebe zum Geld, mir wäre so etwas viel zu riskant. Schließlich habe ich einen Ruf als Porträtfotograf zu verlieren, einen recht guten, will ich meinen.«
Grottkamp nickte. Auf die Idee, Adalbert Hiemchen zu verdächtigen, war er gar nicht gekommen. Der schob die unzüchtigen Fotos zu einem Stapel zusammen und reichte sie dem Polizeidiener.
»Stecken Sie die mal lieber wieder in ihren Rock! Wenn uns die Witwe Weiser damit überrascht, dann denkt sie noch sonst was von uns«, meinte er grinsend.
Grottkamp war nicht zum Scherzen zumute. Er stopfte die Fotos in die Innentasche seiner Uniform, knöpfte den Rock zu und spürte wieder den Druck auf der Brust.
»Eins ist allerdings klar«, stellte Hiemchen fest. »Ein Mann, der so viele Abzüge von einem Foto besitzt, der kann sich nicht damit herausreden, ein Liebhaber der Fotokunst zu sein. Der Kerl, bei dem Sie die Bilder konfisziert haben, der hat offensichtlich Handel mit dem Schweinkram getrieben und sich strafbar gemacht.«
»Ganz zweifellos hat er das«, sagte Grottkamp. »Aber er hat sich der preußischen Gerichtsbarkeit entzogen. Durch eine überstürzte Flucht ins Jenseits, gewissermaßen.«
Der 11. September 1866 war ein trüber Tag. Aus dem grauen Himmel über Sterkrade nieselte feiner Regen.
Er hielt Grottkamp nicht davon ab, seine Runde durch das Dorf zu drehen.
Von der Witwe Weiser aus war er in seine Wohnung gegangen, hatte den Stapel unzüchtiger Fotografien in die Schublade seines Büfetts zu den wichtigen Papieren und dem Foto aus Terfurths Rock gelegt, hatte sein schwarzes Cape umgehängt und sich wieder auf den Weg gemacht.
Am Steinbrink, in Höhe der evangelischen Kirche, wo ein böiger Wind Blatt um Blatt aus den Lindenbäumen zerrte, begann Martin Grottkamp damit, seine Erinnerungen nach einer Bauernregel zu durchsuchen, die besseres Wetter versprach.
Auf gutes Wetter vertrau, beginnt der Tag nebelgrau, kam ihm nach einer Weile in den Sinn. Wenn an dieser alten Weisheit etwas dran wäre, dann müsste es ja nun bald aufklaren! Aber danach sah es wirklich nicht aus.
Was waren das nur für Zeiten! Worauf sollte ein Mensch sich überhaupt noch verlassen, wenn sogar die Regeln, die die Natur selbst während vieler Jahrhunderte geschrieben hatte, ihre Gültigkeit verloren?
Als Grottkamp an den Werkshallen des Brückenbaus vorbei über die Holtener Straße marschierte, hörte es urplötzlich auf zu regnen. Ein seltsamer Tag war das!
Von seinem Besuch bei Overberg über seine Entdeckung in Küppkens Kommode bis zu seinem Gespräch mit Adalbert Hiemchen gab es nichts, was ihn auch nur einen Schritt weitergebracht hätte. Er war enttäuscht und verwirrt.
Hubertus Küppken hatte offenbar für ein paar schmutzige Taler bedenkenlos gegen Sitte und Anstand und gegen die Gesetze des Königreichs Preußen verstoßen. Für die unzüchtigen Bilder hatte er unter den Fuhrleuten und Handwerksburschen und unter all den üblen Gesellen, die in seinem Gasthaus verkehrten, zweifellos eine äußerst interessierte Kundschaft gefunden.
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