Tod an der Ruhr
keinen Durst mehr. Ich bin hundemüde und muss ins Bett.«
»Ist in Ordnung.« Verstegen nickte und kratzte verlegen sein schlecht rasiertes Kinn. »Es ist nur so, dass ich kurz mit dir reden muss. Sonst hätte ich dich ja gar nicht mehr aufgehalten, so spät.«
Grottkamp zog einen Stuhl heran und stützte sich mit beiden Händen auf die Lehne. »Worum geht’s denn?«
»Die Leute erzählen, dass du glaubst, der Terfurth wär erschlagen worden, und dass du jetzt nach seinem Mörder suchst.«
»Da ist was dran.«
»Also, ich hätte es dir wahrscheinlich gleich an der Unglücksstelle sagen müssen.« Theodor Verstegen war nervös. Er trat von einem Bein aufs andere, während er redete. »Da war nämlich ein dicker, kantiger Stein, etwas größer als ein menschlicher Schädel, würd ich sagen. Als ich mit dem Leiterwagen um die Wasserpfütze herum wollte, lag er plötzlich genau vor einem Rad. Ich hab mir gedacht, ehe noch was zu Bruch geht, die Achse oder ein paar Radspeichen, werfe ich ihn lieber an den Straßenrand.«
Grottkamp sah Verstegen entgeistert an.
»Es tut mir leid, wirklich«, stammelte der. »Ich hab mir nichts dabei gedacht. Für mich war klar, dass der Hammerschmied in seinem Suff gestolpert und in der Pfütze ertrunken war. Und heute Nachmittag höre ich auf einmal, wie jemand sagt: ›Der Polizeisergeant hat festgestellt, dass da weit und breit kein Stein gelegen hat, auf den der Terfurth gefallen sein könnte. Deshalb muss ihn wohl jemand erschlagen haben.‹ Ich hab einen gehörigen Schreck bekommen, das kannst du mir glauben. Und dann hab ich mir gedacht, das musst du dem Grottkamp erzählen, am besten sofort, dass da doch ein Stein gelegen hat. Das muss er wissen.«
Immer noch starrte Grottkamp den Fuhrmann sprachlos an.
»Es tut mir ehrlich leid«, beteuerte Verstegen. »Für mich war’s einfach ein verdammter Unglücksfall. Der Terfurth war eben irgendwo draufgeknallt. Dass jemand auf die Idee kommen könnte, nach dem Stein zu suchen, an dem er sich den Schädel eingeschlagen hatte, darauf bin ich wirklich nicht gekommen. Sonst hätte ich es dir natürlich sofort gesagt, dass da dieses Ding lag.«
»Niemand hat mir was gesagt. Möllenbeck nicht und auch die anderen nicht, die dabei waren«, murmelte Grottkamp müde. »Das begreife ich nicht.«
»Der Möllenbeck kam erst später dazu. Und die anderen, die haben doch alle nur den Toten angestarrt. Ich glaube, das hat überhaupt niemand mitbekommen, dass ich diesen Stein an den Straßenrand geworfen habe.«
EINUNDZWANZIG
Es war die Sünde schlechthin, die auf Martin Grottkamps Brust drückte. Ein ganzer Stapel fotografischer Abbilder von schamlosen Weibern, die ihre nackten Leiber zur Schau stellten, machte ihm das Atmen schwer. Er knöpfte seinen Uniformrock auf und griff in die innere Tasche. Da waren sie. Vierzig mochten es sein oder gar fünfzig.
Jede einzelne dieser Fotografien konnte unschuldige Knaben verderben, brave Jungmänner in die Arme liederlicher Frauenzimmer treiben oder ehrbare Ehegatten zu geifernden Lüstlingen machen.
Ja, diese unglaubliche Sammlung unzüchtiger Abbildungen hätte wohl ausgereicht, ganz Sterkrade in einen Sündenpfuhl zu verwandeln.
Gemeindevorsteher Overberg hatte ihn während der morgendlichen Dienstbesprechung noch einmal dringend ersucht, in der Angelegenheit Terfurth die Spur Küppken mit besonderem Nachdruck zu verfolgen. Der Gedanke, dass man diesen Fall endgültig zu den Akten legen könnte, wenn Terfurths Mörder selbst unter der Erde läge, ließ den Gemeindevorsteher offenbar nicht mehr los.
»Grottkamp, finden Sie heraus, um welche Schweinerei es da gegangen ist zwischen dem Küppken und dem Terfurth!«, hatte er seinem Polizeisergeanten aufgetragen.
Der hatte sich umgehend ins Gasthaus »Zum dicken Klumpen« begeben. Das Stubenmädchen Maria Schneider hatte ihn durch Küche und Vorratskammer, durch Speicher- und Kellerräume geführt und ihm die Tür zu Hubertus Küppkens Zimmer aufgeschlossen. Trotz ihrer Neugier war sie nicht mit dem Polizeidiener hineingegangen. Sie fürchtete immer noch, dass der tödliche Hauch der Cholera durch Küppkens Sterbezimmer wehen könnte, obwohl der Heildiener Möllenbeck es längst mit Brom und mit Chlordämpfen gründlich desinfiziert hatte.
Grottkamp hatte ein paar Schranktüren geöffnet und in ein paar Schubfächern herumgekramt, ohne recht zu wissen, wonach er eigentlich suchen sollte. Zuletzt hatte er die untere Lade der Kommode
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