Tod an der Ruhr
dass Hiemchen ihre gute Stube als Atelier nutze. Die beiden großen Fenster vor allem hätten ihn dazu bewogen, aber auch die üppige Ausstattung des Raumes, die sich zu vielfältigen Bildinterieurs arrangieren lasse.
Nein, eine Miete kassiere sie nicht. Sie fühle sich als eine Mäzenin der Kunst, und dass der Herr Fotograf gelegentlich ein Abbild von ihr fertige, völlig kostenlos selbstverständlich, sei eine mehr als ausreichende Vergütung für die Nutzung ihrer Stube.
Als Grottkamp damit herausrückte, dass er gar nicht gekommen sei, um sich ablichten zu lassen, sondern um mit dem Fotografen zu sprechen, schüttelte die Witwe Weiser verständnislos den Kopf und ließ ihn allein.
Bald darauf erschien Adalbert Hiemchen, ein lächelnder, schon beinahe kahlköpfiger Mann im verknitterten Anzug. Die Fleischwurst hatte er zu Frau Weiser in die Küche gegeben und dort bereits erfahren, dass der Polizeidiener ihn erwartete.
Der Fotograf begrüßte Grottkamp äußerst freundlich. Das sei aber ausgesprochen schade, bedauerte er, dass der Herr Offiziant nicht gekommen sei, um sich in seiner schmucken Uniform auf die Platte bannen zu lassen. Dabei wäre es wirklich eine große Freude für ihn, dieses markante Gesicht mit dem beeindruckenden Bart ins rechte Licht zu setzen. »Vielleicht überlegen Sie es sich ja noch«, hoffte Hiemchen. »Heute lässt ohnehin die Helligkeit ein wenig zu wünschen übrig, bei dem bewölkten Himmel. Und morgen werde ich auch noch den ganzen Tag hier sein. Vielleicht möchte der Herr Polizeidiener ja auch mit der Frau Gemahlin gemeinsam aufs Bild.«
»Wenn Sie im Frühjahr wiederkommen, vielleicht«, erwiderte Grottkamp ausweichend.
»Dann aber mit der Frau Gemahlin, will ich hoffen.«
»Auf jeden Fall mit einer schmucken Uniform«, entgegnete Grottkamp.
»Fein, ja fein«, stammelte Hiemchen irritiert. »Der Herr Offiziant ist sicher gekommen, um meine Gewerbeerlaubnis zu sehen.«
»Nein, ich möchte Ihnen etwas zeigen.« Grottkamp zog den Stapel unzüchtiger Fotos aus seinem Rock und legte ihn auf das Salontischchen.
Hiemchen betrachtete die Abbildungen eingehend, jedoch völlig unaufgeregt. »Die Arrangements, die Posen, die Wirkung des Lichtes«, murmelte er. »Ich vermute, dass die drei Fotografien von ein und demselben Fotografen angefertigt worden sind.«
»Drei Fotografien? Das sind doch bestimmt vierzig, die Sie da in den Händen halten.«
Adalbert Hiemchen setzte sich Grottkamp gegenüber auf einen Armlehnstuhl und schüttelte den Kopf. In den modernen fotografischen Apparaten – er deutete auf den viereckigen Kasten in der Zimmerecke – würden heutzutage mit Chemikalien präparierte Glasplatten verwendet, erklärte er. Wenn durch die Linse – die stecke in dem kleinen Rohr des Apparates – Licht auf eine solche Platte falle, werde auf ihr das anvisierte Motiv abgebildet. Das Abbild zeige sich allerdings erst nach einer chemischen Behandlung der Platte, und zwar gewissermaßen verkehrt herum. Das Helle erscheine auf der Glasplatte dunkel und das Dunkle hell. Darum sprächen die Fotografen auch von einem Negativ. Wenn man die Platte nun auf ein ebenfalls chemisch präpariertes Papier lege und dieses durch die Negativplatte hindurch belichte, dann erzeuge man auf dem Papier ein fotografisches Bild, das Positiv.
Seit Beginn der sechziger Jahre habe sich dieses Nassplattenverfahren in der modernen Fotografie mehr und mehr durchgesetzt. Jetzt könne man beliebig viele fotografische Papiere durch ein und dieselbe Negativplatte belichten, also sozusagen unendlich viele Ableger von einer Fotografie erzeugen.
Hiemchen fächerte die Fotos des Mädchens mit dem scheuen Blick auseinander wie ein Kartenblatt und hielt sie dem Polizeidiener entgegen. »Sicher sind das hier zehn oder noch mehr Bilder«, erklärte er, »aber es ist doch nur eine einzige Fotografie.«
Grottkamp hatte in etwa verstanden, was Adalbert Hiemchen ihm auseinandergesetzt hatte. Vor allem aber begriff er einmal mehr, wie rasch und vollkommen sich alles veränderte in diesen unruhigen Zeiten, wie schwer es für einen Menschen geworden war, sich noch auszukennen und sich zurechtzufinden in der modernen Welt.
»Und wer macht so was da, solche Schweinereien? Können Sie dazu auch was sagen?«, fragte er.
»Ein Mann, der etwas von der Fotografie versteht, ganz ohne Zweifel«, antwortete Hiemchen. »Aber von denen gibt es viele. In Köln finden Sie doch heute an jeder Ecke ein fotografisches Atelier.
Was
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