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Tod an der Ruhr

Tod an der Ruhr

Titel: Tod an der Ruhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Kersken
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an. Ein seltsames Geschöpf war diese Grete Sander. Nie war er sich sicher, ob er ihr glauben konnte oder nicht.
    Sie war nicht so, wie ein zwanzigjähriges Mädchen sein sollte. Was steckte nur in ihr, dass sie nicht auf einen braven jungen Mann ihres Standes warten konnte, dass sie ihren Träumen nachjagen musste, als wäre sie selbst ein Kerl.
    Zart und zerbrechlich erschien sie ihm jetzt, da sie vor ihm auf dem Hocker kauerte. Und zugleich hielt sie die Tabakspfeife in der Faust wie ein Hüttenarbeiter und sog gierig den Qualm in ihre Lungen.
    »Bist du eigentlich sicher, dass das deine Pfeife ist?«, fragte er.
    »Ja, Herr Polizeisergeant, ganz sicher. Hier oben am Rand ist ein kleines Stück herausgebrochen. Ja, das ist meine Pfeife.«
    »Ich habe die Tabakspfeife unter deine Kommode gelegt«, sagte Grottkamp, »neben diesen Brief hier.«
    Er stopfte das Schreiben in seine Brusttasche. Grete brauchte nicht zu wissen, dass es sich nur um irgendein belangloses Papier handelte, das in seiner Stube herumgelegen hatte.
    Margarete Sander sah Grottkamp verwirrt an. »Ich verstehe nicht«, murmelte sie.
    »Du hast deine Tabakspfeife vor neun Tagen auf dem Postweg verloren«, sagte Grottkamp schroff, »in der Nähe vom Hagelkreuz. Dort lag sie am Morgen des dritten September, neben dem toten Julius Terfurth.«
    Margarete legte die Pfeife vor sich auf das Tischchen. Eine Weile qualmte sie noch vor sich hin, dann erlosch die Glut in ihr.
    Margarete Sander und Martin Grottkamp schwiegen lange. Aus der Gaststube drangen Stimmen und Gelächter herüber. Mehr und mehr hüllte die Dämmerung des noch jungen Septemberabends die Schankmagd und den Polizeidiener ein, und ganz allmählich wurde einer für den anderen zum düsteren Schatten.
    »Ich habe Julius Terfurth nicht getötet«, sagte Margarete irgendwann. Sie sprach leise, aber ihre Stimme klang fest und sicher.
    »Von meiner Freundin in Köln, von der hab ich’s erfahren, dass ich mir die Franzosenkrankheit gefangen hatte«, erzählte sie. »Ich hatte doch keine Ahnung von so was. Aber sie, sie hat es sofort erkannt. Sie hat viel Erfahrung mit Männern und mit allem, was damit zu tun hat. Verstehen Sie, Herr Polizeisergeant?«
    »Eine Hure ist sie also, deine Freundin.«
    Margarete widersprach nicht. »Ich hab sie in Brauweiler kennengelernt, im Zucht- und Arbeitshaus«, sagte sie nur. »Und im Juli hat sie mich in Köln ins Hospital gebracht. Das wäre meine einzige Chance, hat sie gesagt. In dem Monat, den ich dort im Krankenbett verbracht habe, da hab ich viel gelernt über diese Krankheit und manches begriffen. Mir ist klar geworden, dass sie mich angesteckt haben müssen, der Terfurth und der Küppken. Entweder der eine oder der andere. Sie waren die einzigen, mit denen ich das Bett geteilt hatte, nach meiner Entlassung aus dem Arbeitshaus. Und dass sie beide die Syphilis hatten, das weiß ich inzwischen auch. Sie hatten schon Symptome dieses zweiten Stadiums, bevor ich nach Köln bin. Ich wusste nur damals noch nicht, was das war, diese Ausschläge und Knötchen, die ich bei ihnen entdeckt hatte.
    Als ich dann wieder in Sterkrade war, da habe ich zuerst den Klumpenwirt zur Rede gestellt. Er hat’s einfach abgestritten, dass er die Syphilis hatte. Das wär nichts gewesen, gar nichts, diese Ausschläge auf seiner Haut, hat er nur gebrüllt. Die wären inzwischen ja auch längst wieder verschwunden. Und dann hat er noch gedroht, dass er mir den Hals umdreht, wenn ich irgendjemandem erzählen würde, der Klumpenwirt hätte die Syphilis.
    Am Sonntag vor einer Woche ergab sich dann endlich auch die Gelegenheit, Julius Terfurth zur Rede zu stellen. Er war der letzte Gast in der Schankstube. Als der Küppken ihn auf die Straße gelassen hatte, hab ich hier in der Mägdekammer gewartet, bis der Klumpenwirt die Stiege hochgegangen war zu seinem Zimmer. Dann bin aus der Seitentür raus. Es hat nicht lange gedauert, bis ich den Terfurth eingeholt hatte. Er war ja sturzbetrunken. Von der einen Straßenseite zur anderen getorkelt ist er. Immer wieder ist er gestolpert. Und am Straßenrand gekotzt hat er auch.
    Als ich ihm von der Syphilis erzählt habe, hat er nur gelacht. Ob er daran krepieren würd oder am Suff, dass wär ihm egal. Dass er mich angesteckt haben könnte, das hat ihn sogar noch belustigt. ›Überall auf der Welt stecken die Huren ihre Freier an. Nur hier in Sterkrade, da stecken der Küppken und der Terfurth ihre Hure an‹, hat er gesagt und sich dabei

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