Tod an der Ruhr
Ostrogge heran, der hinter seinem Schanktisch stand. Der Wirt setzte sich sofort in Bewegung.
»Oh ja, einen Krug Bier hätte ich auch noch gerne«, sagte Edward Banfield, als der füllige Braumeister neben ihm stand. »Das ist wirklich köstlich.«
»Freut mich, dass es Ihnen schmeckt«, entgegnete Ostrogge. Unbemerkt von Mister Banfield zwinkerte er zur alten Holztür hinüber, die in seinen Vorratskeller führte.
»Die Klassenfeinde von uns Arbeitern, das sind also die Industriebarone, die Fabrikanten und Hüttenherren? Habe ich Sie da richtig verstanden?«, fragte Kerseboom, als Ostrogge zwei volle Bierkrüge auf den Tisch gestellt hatte.
Banfield nickte. »Die Bourgeoisie.«
»Die englische Bourgeoisie ebenso wie die preußische?«, erkundigte Kerseboom sich scheinheilig.
»Ja natürlich. Wieso fragen Sie das?«
»Ich muss doch wissen, wer meine Feinde sind.«
Banfield lächelte verhalten. »Sie machen sich lustig über meine Ideen«, vermutete er.
»Nein, ich verstehe sie nur nicht«, entgegnete Kerseboom. »Mein Vater hat nicht so gut gelebt wie ich und mein Großvater schon gar nicht. Als Hüttenarbeiter schufte ich zwar hart, aber ich bekomme einen guten Lohn dafür. Meine Kinder wachsen auf, ohne Not leiden zu müssen. Warum sollte ich eine Revolution anzetteln?«
In diesem Augenblick wurde das Kribbeln in Grottkamps Nase so unerträglich, dass er die Luft anhielt, sich von seinem Hocker erhob und eilig hinunterschlich in den Keller, auf den schwachen Schein der Kerze zu, die Ostrogge da unten hingestellt hatte. Er schlüpfte in den Vorratsraum, zog die schwere Bohlentür hinter sich zu. Und dann prustete es aus ihm heraus.
Ausgerechnet jetzt musste ihm das passieren! Es war wohl der Rauch aus Kersebooms Pfeife, der ihm zugesetzt hatte. Der Former hatte unablässig seinen Tabaksqualm in Richtung Holztür gepustet, so dass er durch Ritzen und Löcher gekrochen war und Grottkamps Nase und seine Augen gereizt hatte. Wenn das ein Spaß gewesen sein sollte, dann war es ein schlechter! Aber wahrscheinlich hatte er sich gar nichts dabei gedacht, der Arnold Kerseboom.
Wieder und wieder nieste Grottkamp. Er musste dringend an die frische Luft. Eilig verließ er den Keller durch die Hintertür. Als er im Hof stand, atmete er eine Weile tief durch und prustete ein paarmal heftig in sein Schnupftuch. Allmählich verzog sich der Niesreiz.
Zurück auf seinen Beobachtungsposten wollte er trotzdem nicht mehr. Er glaubte, genug gehört zu haben. Außerdem war seine Kehle trocken. Er zog es vor, in der Küche der Marktschänke das Ende des Gesprächs zwischen Banfield und Kerseboom abzuwarten. Katharina brachte ihm einen Krug Bier, und Kaspar Ostrogges Frau freute sich, ein wenig plaudern zu können.
So entging Grottkamp nicht nur, was Arnold Kerseboom über den Alltag eines Sterkrader Hüttenarbeiters erzählte, sondern auch, was Banfield darauf erwiderte.
»Sie sind eben Vorarbeiter in der Gießerei der Gutehoffnungshütte und nicht einer der vielen Hilfsarbeiter an der Walzstraße oder in der Kokerei«, stellte der Engländer fest. »Glauben Sie mir, Mister Kerseboom, die Arbeits- und Lebensbedingungen der meisten Fabrikarbeiter und Bergleute an der Ruhr sind wirklich ganz miserabel, nicht zu vergleichen mit den Ihren.«
»Das mag ja sein«, gab der Former zu. »In Sterkrade jedenfalls wird es vorläufig nichts werden mit Ihrer Revolution.«
Banfield quittierte Arnold Kersebooms Einschätzung mit einem nachsichtigen Lächeln. »Das Klassenbewusstsein der Arbeiterschaft ist hier einfach noch nicht genügend ausgeprägt«, meinte er. »Die Hüttenarbeiter in Sterkrade fühlen sich immer noch als Bauern, auch wenn sie längst keine mehr sind. Aber die ständig wachsende Masse der Industriearbeiter wird immer weiter verelenden. Sie werden es sehen, Herr Former. Und dann wird auch hier die Zeit reif für die Revolution sein.«
»Was halten Sie denn davon, wenn ich uns vorher noch ein Bier bestelle?«, fragte Kerseboom.
»Das halte ich für eine ausgesprochen gute Idee«, erwiderte Edward Banfield.
DREIUNDZWANZIG
Der Bauer aus Hiesfeld duckte sich hinter seine Kartoffelsäcke, als der Sterkrader Polizeidiener näher kam. Dieser Herr Grottkamp war ihm nicht geheuer. Die mürrisch dreinblickenden Augen unter dem Schirm der Dienstmütze versprachen nichts Gutes.
Diesmal gab es keinen einzigen Stein in den Säcken des Bauern. Aber wenn ein Polizeidiener es auf einen Markthändler abgesehen hatte, dann konnte
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