Tod an der Ruhr
Kerlen geredet, die er anscheinend von der Hütte kannte. Und dann ist er eine ganze Weile neben einem Tisch stehen geblieben und hat den Leuten da beim Kartenspielen zugeschaut.«
»Los Küppken, denken Sie nach! Was war sonst noch?«
»Herr Polizeisergeant, Sie fragen ja so, als ob… Ich meine, ist der Terfurth denn nicht in eine Pfütze gefallen und ertrunken?«
»So sieht es wohl aus. Aber ich wüsste doch ganz gerne, was er in seinen letzten Stunden getrieben hat. Ob er zum Beispiel einen Streit hatte. Es könnte ja immerhin sein, dass bei seinem Sturz jemand nachgeholfen hat.«
»Nein, Herr Sergeant. Hier hat er sich mit niemandem gestritten. Aber, da fällt mir ein, ziemlich spät am Abend, da hat er eine ganze Zeit mit dem Lehrer Weyer da drüben am Tisch gesessen und sich unterhalten.«
»Mit dem Lehrer Weyer? Der trinkt doch gewöhnlich in der Marktschänke beim Ostrogge sein Bier. Seit wann verkehrt der denn hier?«
»Nun, er ist nicht gerade ein häufiger Gast. Aber ab und zu, wenn er mal neue Gesichter sehen will, der Herr Lehrer, dann kommt er halt her.«
»Und worüber hat er gestern mit dem Terfurth geredet?«
»Ich habe den beiden einige Krüge Bier an den Tisch gebracht. Dabei habe ich mitbekommen, dass sie über den Krieg gesprochen haben. Der Terfurth war der Meinung, dass die Preußen schon immer ganz hervorragende Soldaten waren, und da hätten die Österreicher von vornherein auf verlorenem Posten gestanden. Der Lehrer Weyer hat behauptet, nur weil sie ihre modernen Zündnadelgewehre hatten, die Preußen, und weil sie damit schneller nachladen konnten, hätten sie den Sieg davongetragen. So ein Quatsch, hat der Terfurth darauf gesagt. Mit der modernen Technik könnten die Menschen gar nichts gewinnen, auch keinen Krieg.«
»Also haben die beiden doch gestritten.«
»Nein, nein, Herr Polizeisergeant. Einen Streit kann man das wirklich nicht nennen. Die beiden waren schon arg betrunken und haben ziemlich heftig diskutiert. Aber mehr auch nicht.«
»Und wie endete die Diskussion?«
»Nun, der Lehrer Weyer ist irgendwann gegangen.«
»Und dann?«
»Dann hat der Terfurth noch eine ganze Zeit allein an dem Tisch gesessen und sich vollaufen lassen. Und als alle anderen Gäste weg waren, da saß er immer noch da.«
»Bis wann?«
Küppken dachte nicht lange nach. »Eine viertel Stunde vor elf ist er gegangen.«
»Die Polizeistunde gilt im Gasthaus ›Zum dicken Klumpen‹ wohl nicht«, murrte Grottkamp.
»Doch, doch, Herr Polizeisergeant«, entgegnete Küppken beschwichtigend. »Die Tür war schon lange abgeschlossen, und der Terfurth hat ja auch nur noch so dagesessen. Er konnte gar nichts mehr trinken, glaube ich. Aber wissen Sie, Herr Sergeant, einen Stammgast, den wirft man nicht so gerne raus. Wir haben also schon mal sauber gemacht und aufgeräumt, und als wir damit so ziemlich fertig waren, da wollte der Terfurth dann auch gehen. Ich habe ihn aus der Tür gelassen, hinter ihm wieder abgeschlossen und bin gleich danach ins Bett.«
Grottkamp strich skeptisch durch seinen Bart.
Der Wirt lächelte harmlos.
»Hat Julius Terfurth eigentlich geraucht?«, fragte Grottkamp nach einer Weile.
Der Klumpenwirt schüttelte den Kopf. »Nein geraucht hat er nicht. Jedenfalls habe ich ihn nie rauchen gesehen.«
Wenn Hubertus Küppken die Wahrheit gesagt hatte, dann hatte Julius Terfurths Taschenuhr noch zweiundsiebzig Minuten getickt, nachdem der Hammerschmied am Sonntagabend das Gasthaus »Zum dicken Klumpen« verlassen hatte.
Eine viertel Stunde vor elf Uhr hatte Küppken die Wirtshaustür hinter Terfurth abgeschlossen. Um drei Minuten vor Mitternacht war die Uhr in der Wasserlache auf dem Postweg stehen geblieben.
Wenn der Hammerschmied zu diesem Zeitpunkt, wie angenommen, seit etwa einer halben Stunde in der Pfütze gelegen hatte, dann hatte er für den Weg vom Wirtshaus bis zum unteren Postweg vierzig bis fünfundvierzig Minuten gebraucht.
Klar war, dass Julius Terfurth zunächst die Bahnhofstraße hinuntergegangen sein musste. Vielleicht war er dann in die Friedhofsgasse eingebogen. Für wahrscheinlicher jedoch hielt Grottkamp es, dass der betrunkene Mann den Weg über die Dorfstraße genommen und am Kirchplatz vorbei in Richtung Hagelkreuz gegangen war, denn dieser Weg wurde durch das Licht einiger Petroleumlaternen erhellt.
Wer gut zu Fuß war, der legte jede der beiden etwa gleich langen Strecken zwischen dem Gasthaus und dem Fundort des Toten in rund fünfzehn Minuten
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