Tod an der Ruhr
die junge Magd des Bauern und Gemeinderatsmitgliedes August Oppermann sei seit Monaten spurlos verschwunden. Als Grottkamp sich beim Oppermann nach Grete Sander erkundigen wollte, hatte der Bauer ihn empört von seinem Hof gewiesen, und Grottkamp hatte mächtig Ärger bekommen. Bürgermeister Heinrich Klinge persönlich hatte ihn damals einbestellt und ihn aufs Schärfste verwarnt. Es gehöre nicht zu den dienstlichen Obliegenheiten eines Polizeidieners, hatte Klinge gepoltert, in den Angelegenheiten eines hoch angesehenen Bürgers und Ratsmitgliedes herumzuschnüffeln.
Oppermann hatte dem Bürgermeister erklärt, dass Margarete Sander nie seine Dienstmagd gewesen sei, sondern nur hin und wieder auf dem Hof ausgeholfen habe, zum Beispiel beim Waschen und Bleichen, gelegentlich auch bei der Feldarbeit. Gewohnt habe sie nie irgendwo anders als im Hause ihrer Ziehmutter, der Kräuterfrau Johanna Spieker. Wenn sie aber von dort weggelaufen sei, dann möge man ihn, August Oppermann, gefälligst nicht damit behelligen.
Grottkamp hatte die Zurechtweisung durch Bürgermeister Klinge zähneknirschend geschluckt und sich kurz darauf bei der Kräuterfrau nach dem Mädchen erkundigt.
Die alte Anna – so nannten die Sterkrader sie – hatte ihn ins Haus gebeten und in die Kammer des Mädchens geführt. An diesem Tag, im Dezember 1861, hatte er Grete Sander zum ersten Mal gesehen: ein noch nicht ganz sechzehn Jahre altes Kind, das blass und abgemagert in seinem Bett lag.
Nein, ihr Gretchen sei nicht verschwunden gewesen, hatte die alte Anna ihm erklärt. Es sei halt krank gewesen, aber Dank ihrer Pflege befinde das Mädchen sich auf dem Wege der Besserung.
Für den Polizeidiener Grottkamp war die Angelegenheit damit erledigt gewesen.
Das nächste Mal hatte er im Frühjahr 1863 von Grete Sander gehört. Ein Landwirt aus Hamborn, bei dem sie damals in Stellung war, hatte den Behörden das Verschwinden seiner jungen Dienstmagd gemeldet. »Den Winter über hat sie sich bei mir durchgefressen und jetzt, wo es losgeht mit der Feldarbeit, macht sie sich aus dem Staub«, hatte der wütende Bauer gezetert.
Damals war Margarete Sander zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten. In der südlichen Eifel, unweit der Mosel, hatte man die Siebzehnjährige aufgegriffen und zu sechs Wochen Gefängnis wegen Landstreicherei verurteilt. Anschließend war sie ins Landesarmenhaus in Trier eingewiesen worden. Von dort hatte man sie nach drei Monaten wegen guter Führung entlassen und zurück in ihre Heimatgemeinde geschickt.
Kurz vor Weihnachten des Jahres 1863 hatte sie eines Morgens, mit dem Entlassungsschein aus Trier in der Hand, bei Grottkamp angeklopft. Damals hatte sie ihm und dem Schöffen Carl Overberg versprochen, sich möglichst bald eine neue Stellung zu suchen und nicht der Armenkasse zur Last zu fallen.
Im folgenden März 1864 hatte Margarete Sander, sie war inzwischen achtzehn Jahre alt, wieder eine Anstellung als Dienstmagd gefunden, und zwar ausgerechnet beim Bauern Oppermann. Dieser August Oppermann sei eben ein großherziger Mensch, der dem gefallenen Mädchen zurück auf den rechten Weg helfen wolle, hatte es damals geheißen. Doch Margarete hielt es nicht lange bei ihm aus. Im Frühsommer hatte sie sich bereits wieder davongemacht. Diesmal meldete Oppermann selbst ihr Verschwinden, und Bürgermeister Klinge ließ mit einer Anzeige im Amtsblatt der Regierung zu Düsseldorf nach ihr suchen.
Als sie im Oktober 1864 in Köln aufgegriffen wurde, kam sie nicht so glimpflich davon wie bei ihrer ersten Festnahme. Dieses Mal bezichtigte das Gericht sie nicht nur der Landstreicherei, sondern auch der Lohnhurerei. Sie wurde für drei Monate ins Gefängnis gesteckt. Der anschließende Aufenthalt im Arbeitshaus in Brauweiler dauerte für die Wiederholungstäterin ein ganzes Jahr.
Im Februar 1866, vor jetzt sieben Monaten, hatte sie dann erneut mit einem Entlassungsschein in der Hand beim Sterkrader Polizeidiener angeklopft. Müde und traurig hatte sie vor seiner Tür gestanden.
Weder Martin Grottkamp noch sein Vorgesetzter Carl Overberg hatten im Februar viel Hoffnung gehabt, dass die junge Frau noch einmal den Weg zurück in ein anständiges Leben finden würde.
Im März schien sich dann für Margarete Sander doch noch alles zum Guten zu wenden. Der Klumpenwirt Hubertus Küppken nahm sie als Schankmagd in seinen Dienst. Aber sie hielt es keine vier Monate im Gasthaus »Zum dicken Klumpen« aus. Ende Juni lief sie wieder
Weitere Kostenlose Bücher