Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod an der Ruhr

Tod an der Ruhr

Titel: Tod an der Ruhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Kersken
Vom Netzwerk:
unmissverständlichen Blick zu, dass der ohne ein weiteres Wort davonwieselte. Er schien sich nicht im Geringsten über seine Vertreibung zu ärgern. Allem Anschein nach war er nur erleichtert, den Fängen des Polizeidieners entkommen zu sein.
    Edward Banfield setzte sich, stellte sein Glas auf den Tisch, verschränkte die Arme vor der Brust, schlug ein Bein über das andere und sah dem Treiben in der Gaststube zu. Von Grottkamp nahm er erst Notiz, als der ihn fragte: »Seit wann sind Sie denn wieder in Sterkrade?«
    »Seit gestern«, lautete die kurze Antwort.
    »Von Sonntag bis Mittwoch waren Sie also unterwegs«, stellte Grottkamp fest.
    »In Essen«, sagte Banfield.
    »Drei Tage lang waren Sie in Essen?«, fragte Grottkamp erstaunt.
    Jetzt erst schaute der Engländer ihn an. Eine ganze Weile betrachtete der junge Mister Banfield den Sterkrader Polizeidiener voller Skepsis. Dann sprudelte es aus ihm heraus: »Also gut, Herr Offiziant, ich will versuchen, es Ihnen zu erklären. Dieses Ruhrgebiet, das fasziniert mich. Ob Essen oder irgendeine andere Stadt, das ist eigentlich völlig gleich. Man müsste für jeden Ort drei Wochen Zeit haben, um zu verstehen, was hier vor sich geht. Überall Fabriken, Zechen und Hüttenwerke, wo noch vor ein paar Jahren Äcker und Weiden waren. Und diese Menschen, die zu Tausenden, ja zu Zigtausenden hierher strömen, alle voller Hoffnung, ihr Glück zu finden! Das hat es, soviel ich weiß, erst einmal gegeben in der Menschheitsgeschichte.«
    »So?« Grottkamp war von Banfields plötzlicher Beredsamkeit mehr beeindruckt als von seiner Geschichte.
    »Beim Goldrausch in Kalifornien, da ging es vor ein paar Jahren geradeso zu wie hier«, fuhr Edward Banfield eifrig fort. »Die Stadt San Francisco, die hatte 1848 vierzehntausend Einwohner, und vier Jahre später, auf dem Höhepunkt des Goldfiebers, lebten dort zweihundertdreißigtausend Menschen. Ihr Glück gefunden haben die wenigsten von ihnen. Den meisten ging es dreckiger als je zuvor. Und dann kam die Cholera. Im Winter 1851 hat die Epidemie in San Francisco gewütet.
    In Essen hab ich das in den vergangenen drei Tagen alles wiedergefunden, Herr Offiziant. Da gibt es die Menschen mit ihren zerstörten Hoffnungen, die elendig in Massenunterkünften hausen, und da gibt es diese verdammte Cholera, der die armen Geschöpfe hilflos ausgeliefert sind.«
    »Die gibt es auch in Sterkrade«, stellte Grottkamp fest.
    Edward Banfield winkte ab. »Gegen Essen oder Duisburg sind das hier paradiesische Zustände.«
    »Warum haben Sie denn in Sterkrade Quartier genommen? Es gibt doch sicher interessantere Plätze für einen, den die industrielle Entwicklung an der Ruhr fasziniert.«
    Der junge Engländer überlegte kurz. »Dass ich hier gelandet bin, das ist Zufall.«
    Grottkamp glaubte ihm nicht. Dass ein gebildeter Mensch, der sich für die rasanten Veränderungen des Lebens im Land an Rhein und Ruhr interessierte, durch Zufall diesseits der Emscher landete, am nördlichen Rand der aufblühenden Industrieregion, das wollte ihm nicht einleuchten. Eine Weile schwiegen die beiden Männer. Dann stellte Grottkamp fest: »Sie sprechen ganz ausgezeichnet unsere Sprache.«
    »Meine Mutter ist eine Deutsche«, erklärte der junge Engländer. »Sie wurde im Herzogtum Braunschweig geboren.«
    Banfield trank einen Schluck aus seinem Branntweinglas, und Grottkamp sagte unvermittelt: »Der Hammerschmied Julius Terfurth ist tot aufgefunden worden.«
    Der Engländer nickte. »Eine traurige Angelegenheit, ganz ohne Frage.«
    »Sie kannten Terfurth, nicht wahr?«
    »Ich habe mich hin und wieder mit ihm unterhalten.«
    »Sie haben ihn beauftragt, Ihnen eine Ortskarte von Sterkrade zu beschaffen.«
    Banfield nickte wieder. »Leider konnte er sie mir nicht mehr aushändigen.«
    »Was wollten Sie mit der Karte?«
    Der Engländer zuckte mit den Achseln. »Eine Reiseerinnerung«, erklärte er kurz angebunden.
    Grottkamp sah Edward Banfield mit hochgezogenen Augenbrauen an.
    Der bemerkte die Skepsis des Polizeidieners sehr wohl, beließ es aber bei seiner dürftigen Erklärung.
    Nach seiner engagierten Rede über den Goldrausch in Kalifornien und über die Eindrücke, die er während der vergangenen Tage in Essen gewonnen hatte, war der junge Mann aus England wieder äußerst einsilbig geworden. Dabei führte er sonst mit Vorliebe stundenlange Gespräche mit irgendwelchen Hüttenarbeitern. Grottkamp spürte, wie sein Misstrauen wuchs.
    »Warum sind Sie eigentlich im

Weitere Kostenlose Bücher