Tod auf dem Drahtseil (Roman) (German Edition)
gerade gebraucht wurde.
Doch zunächst einmal musste das große Zelt aufgebaut werden, und jeweils drei Männer standen an den Trossen, die das Zeltdach aufrichteten und auf Spannung brachten. Es war Knochenarbeit, und die Kräfte aller wurden bis zum Letzten gebraucht.
Dann aber ertönte ein peitschender Knall, einige Männer schrien auf, und urplötzlich geriet das ganze Gebilde ins Wanken. Eine der fast armdicken Haltetrossen war gerissen. Männer purzelten übereinander, als die Spannung mit einem Ruck nachließ, und die gerissene Trosse schlang sich wie eine tödliche Peitsche durch die Luft.
Die warnenden Rufe kamen zu spät, die Trosse traf einen der Männer quer über den Körper, dass er zurückgeschleudert wurde und blutig verletzt liegenblieb. Das fast aufgerichtete Zelt blähte sich auf wie ein Ballon und sackte dann wieder zusammen.
Unter den neugierigen Zuschauern aus der Stadt machte sich Panik breit. Aber die Leute liefen nicht kopflos davon, sondern blieben trotz ihrer Angst weiterhin neugierig stehen, standen jetzt aber in einer kleinen Gruppe etwas abseits.
„Das ist wieder der Fluch!“, klang eine Stimme aus der Menge auf. „Der Fluch hat wieder zugeschlagen.“
Von den Artisten achtete zunächst niemand auf dieses Gerede, stattdessen kümmerten sich drei Leute um den Verletzten, während andere eine neue Trosse spannten und das Zelt endlich mit vereinten Kräften aufstellen wollten, um es dann zu verankern.
Unterdessen schaute Alexej, der Dompteur, gewohnheitsmäßig nach seinen Raubtieren, einer gemischten Löwengruppe, und bemerkte plötzlich mit großem Schreck, dass zwei der Käfigtüren offenstanden. Es grenzte an ein Wunder, dass die Tiere noch nicht hinausgelaufen waren; und er beeilte sich, die Käfige wieder zu verriegeln, damit kein Unglück passieren konnte. Wütend nahm er sich vor, nachher ein ernstes Wort mit den Helfern zu reden, dass so etwas nicht wieder vorkam, es konnte hier um Menschenleben gehen. Löwen waren schließlich keine Schmusekätzchen, auch wenn sie in der Manege bereitwillig auf ihren Dompteur reagierten.
Unterdessen war Cedric am Hauptzelt eingetroffen, begutachtete die weiteren Arbeiten und sorgte dafür, dass der Verletzte ins Krankenhaus kam. Mit wenigen gezielten Worten brachte er Ruhe in das Chaos, und die Aufregung unter dem Personal legte sich schnell.
Dann aber schritt Cedric zu den Neugierigen hinüber und versuchte mit den Leuten zu sprechen, um den schlechten Eindruck gleich wieder abzubauen.
„Das war ein Unglücksfall, wie er immer wieder mal vorkommen kann“, begann er. „Ich hoffe, niemand von Ihnen lässt sich davon beeindrucken. Unfälle gibt es schließlich überall. Ich will wirklich hoffen, Sie alle heute Abend in der Premiere zu sehen.“
Doch jetzt trat ein älterer Mann aus der Gruppe hervor und schaute den Zirkusdirektor ein wenig ängstlich an. „Es ist der alte Fluch, Sir“, verkündete er. „Die Hexe Isabella hat wieder zugeschlagen.“
Einige Leute stimmten ihm zu und bekreuzigten sich. Cedric fluchte innerlich leise und hoffte, dass niemand außer ihm es gehört haben mochte, denn viele der Artisten waren schrecklich abergläubisch, und wenn sie etwas von einem Fluch hörten, würden sie darauf bestehen, sofort wieder abzureisen. Aber hier vor den Leuten beherrschte er sich und setzte ein freundliches Lächeln auf. Dann versuchte er die Wogen zu beschwichtigen.
„Wie interessant. Erzählen Sie mir von dem Fluch“, bat er und drängte die Leute ein bisschen zur Seite. Es war vermutlich die einzige Taktik, um das Gerede zum Stillschweigen zu bringen, denn eine Ablehnung seinerseits hätte erst recht das Getuschel aufflammen lassen.
„Im siebzehnten Jahrhundert wurden hier Hexen verbrannt“, erklärte ein Mann mittleren Alters, der auf den ersten Blick einen ganz vernünftigen Eindruck machte. „Und seit der letzten Verbrennung hat es auf diesen Platz nichts mehr gegeben, was sich halten konnte, kein Haus, kein Geschäft, keine Gaukler. Und da muss etwas dran sein, oder glauben Sie vielleicht, die Stadt ließe sich so gutes Bauland entgehen?“
Cedric schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. Aber es ist eine Tatsache, dass wir jetzt hier unser Quartier aufgeschlagen haben und noch heute Abend unsere Premiere geben. Und ich lade Sie alle herzlich dazu ein. Wir lassen uns nicht einfach von einem Fluch vertreiben.“
Es mochten wohl noch ein Dutzend Leute sein, die um den
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