Tod auf dem Drahtseil (Roman) (German Edition)
den sie mit Liebe und Hingabe pflegte, und versuchte sich seit neuestem in der Malerei, wobei sie recht gute Bilder zustande brachte, die sie selbst allerdings als amateurhaft bezeichnete.
Keith drückte seiner Mutter jetzt einen Kuss auf die Wange und schaute sie bewundernd an. „Eine neue Bluse?“, fragte er.
Die Lady trug eine leuchtend blaue Bluse von raffiniertem Schnitt, die sehr gut mit ihrer Augenfarbe harmonierte und regelrecht auf die Figur zugeschnitten war.
Sie blickte nun an sich herunter. „Ach nein, ich habe dieses alte Schätzchen mal wieder aus dem Schrank geholt, sie mag wohl zehn Jahre alt sein, aber sie ist wieder modern.“
Keith lachte. „Wenn alle Frauen so sparsam wären wie du, würde die Wirtschaft am Boden liegen“, bemerkte er.
„Nun mach schon, dass du wegkommst, deine Arbeit ruft.“ Lady Marjorie gab ihrem Sohn spielerisch einen Klaps auf den Rücken und schaute ihm dann nach, wie er das Schloss verließ.
Der einunddreißigjährige Earl of Lithgow war, ebenso wie seine Mutter, schlank und hochgewachsen, besaß leuchtend blonde, fast weiße Haare und strahlend blaue Augen. Lady Marjorie hatte sich schon oft gewundert, dass er noch keine Frau fürs Leben gefunden hatte, aber ihr Sohn war sehr wählerisch. Und nach einer Beziehung, die nach mehr als zwei Jahren in die Brüche gegangen war, hatte er sich nicht mehr um eine neue Frau bemüht. Gelegentlich sprach ihn seine Mutter schon einmal darauf an und schlug ihm diese oder jene Frau vor, die er sich doch einmal näher ansehen sollte, aber Keith wehrte lachend alles ab und schob dann seine Arbeit vor.
„Keine Frau würde es auf Dauer mit einem Polizisten aushalten“, so meinte er.
Einer Leidenschaft jedoch, die er sich von dem normalen Gehalt eines Polizisten nicht hätte leisten können, hatte er nachgegeben, er fuhr einen amerikanischen Sportwagen, einen Stingray, ein älteres Modell, das schon fast als Oldtimer galt. Und diesen Wagen hütete er wie seinen Augapfel; aber davon abgesehen lebte er bescheiden und hatte auch keine Allüren oder pochte gar auf seinen Status. Die Kollegen arbeiteten gern mit ihm zusammen, denn er hatte vollendete Manieren und einen guten Stil.
Als er an diesem Montagmorgen in seinem Büro ankam, wartete der Chief-Superintendent Buchanan schon auf ihn.
„Ich möchte, dass Sie diesen Fall übernehmen und sehen, was daran ist“, sagte er zu Keith und reichte dem Inspector eine dünne Akte. Erst auf den fragenden Blick des jüngeren Mannes räusperte er sich. „Das Ganze erscheint mir ein wenig dubios. Es hat einen Unfall im Zirkus gegeben, und der Constable, der den Fall übernommen hatte, stellte fest, dass eine Haltetrosse des Trapezes nicht richtig verankert war. Es könnte sich hierbei durchaus um Mord handeln, aber es kann ebenso gut sein, dass sich eine Nachlässigkeit beim Aufbau eingeschlichen hat.“
Lamont seufzte. „Sir, auf meinem Tisch liegen eine Vergewaltigung und zwei Morde, sowie...“
„Ich weiß, Lamont, ich weiß.“
Keith öffnete ärgerlich den Ordner und betrachtete das einzelne Blatt, das darin lag. „Ich wusste nicht einmal, dass ein Zirkus in der Stadt ist“, sagte er dann nachdenklich. „Wo lagert er denn?“
„Auf dem Richtplatz am Clyde.“
Der Kopf von Keith ruckte hoch, aber Buchanan winkte ab. „Jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit den Geistergeschichten. Ich will davon nichts hören. Wenn es überhaupt einen Fluch gibt, dann ist es der, dass wir verflucht sind, uns mit solchen Dingen herumzuschlagen.“
„Sir, bei allem Respekt“, begann Keith, wurde aber wieder rüde unterbrochen.
„Wenn Sie unbedingt an einen Fluch glauben wollen, Lamont, dann tun Sie das in Ihrer Freizeit. In Ihrem Bericht will ich nichts davon lesen, ist das klar?“
Keith nickte ergeben, in diesem Punkt war mit seinem Chef nicht zu reden. Wie konnte ein Schotte nur so phantasielos sein? Der junge Mann wusste längst, dass es in diesem Leben mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gab, als er oder jemand anderes erklären konnte.
So schaute er seinen Chef nur resigniert an. „Ja, Sir!“
*
Es war wie eine Stadt für sich, eine eigene Welt, in der Außenstehende keinen Zutritt hatten.
Keith, der seit frühester Jugend den Zirkus faszinierend fand, tauchte ein, in diese Welt und freute sich, dass er zum ersten Mal ein wenig hinter die Kulissen sehen konnte. Er hatte seine Assistentin Janet Fitzpatrick mitgenommen, eine meist unauffällige junge Frau, sehr
Weitere Kostenlose Bücher