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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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lehnte sich gegen einen aufragenden Ast, blickte in das dunstige Traumbild und lauschte träge. Wenigstens eine Krähe musste doch zu hören sein. Leo streifte die Kapuze ganz ab und tatsächlich — da war etwas. Nur ein kurzer Laut. Es klang nicht wie ein Vogel. Wie ein klagendes Tier? Fast wie eine dünne menschliche Stimme. Und es kam nicht vom Weg oder aus den Baumkronen, sondern aus der Tiefe des Abhangs, aus der Schlucht, die unter dem Nebel lag.
    Nasse Klumpen von lehmigem Sand und kleinen Steinen lösten sich von der Kante, als sie sich an den Rand kniete und vorsichtig hinüberbeugte.
    «Hallo», rief Leo. «Ist da jemand? Hallo?»
    Sie brauchte keine Antwort. Was dort unten im Gebüsch auf den ersten Blick wie ein weggeworfener roter Müllsack oder eine Plastikplane aussah, war kein Abfall. Das war ein Mensch und sie erkannte auch, wer dort lag. Direkt unterhalb der Kante war der Hang steil und voller Geröll und Felsbrocken, unmöglich, hinunterzuklettern, ohne abzurutschen. Nur wenige Meter weiter wuchs knorriges Gesträuch zwischen den Felsen, das musste reichen. Wieder hörte sie die Stimme, nur ein unverständliches Wort. Hastig streifte sie das Regencape ab und machte sich an den Abstieg.
    Später wusste sie nicht mehr, wie sie hinuntergekommen war, von welchem Stein die blutige Schramme an ihrer linken Hand, der Riss in ihrem Anorak stammte. Benedikt hatte Glück gehabt. Er lag auf einem der schmalen, von rauem Fels gebildeten Absätze, ein stacheliger Strauch und sein Rucksack hatten seinen Fall abgefedert.
    Seine Augen suchten Halt in ihren. «Nina?», flüsterte er und wollte sich aufrichten, doch er fiel aufstöhnend zurück, und seine Augen schlossen sich.
     

Kapitel 2
     
     
     
    Montagabend / 2. Tag
     
    Dass Abendessen war vorüber, das Geschirr abgeräumt, die meisten Hotelgäste hatten sich in ihre Zimmer oder die Bar zurückgezogen. Einzig die deutsche Wandergruppe saß noch um ihren Tisch im Speisesaal des Hotels in Burguete. Es war eine bedrückte Mahlzeit gewesen, trotzdem hatte es niemand eilig, die Runde zu verlassen.
    «Möchtet ihr noch Wein?» Jakob hielt die Flasche hoch; als niemand reagierte, leerte er den Rest in sein eigenes Glas.
    «Er macht so was öfter», erklärte Eva plötzlich. Nicht abstürzen, das natürlich nicht, ich meine, ständig an der Kante entlangbalancieren.»
    Alle Blicke richteten sich auf Eva. «Woher weißt du das?», beendete Felix den Moment erstaunten Schweigens. «Kennst du Benedikt schon länger?»
    «Länger? Nein, natürlich nicht. Das hat Nina gesagt. Wir haben uns gestern unterhalten», fuhr sie nach einem raschen Seitenblick auf ihre Freundin Caro fort, «nur kurz, ich weiß nicht mehr, wie wir darauf kamen. Sie hat gesagt, auf ihrer letzten Wanderung — ich hab vergessen, wo das war — habe er das ständig gemacht.»
    «Purer Leichtsinn.» Enno nahm einen blassgelben Apfel aus der Obstschale, zog ein Taschenmesser aus einer der zahlreichen Taschen seiner Weste und begann ihn zu zerteilen. «Die meisten Unfälle sind die Folge von Leichtsinn. Die allermeisten. Ich sage immer...»
    «Das ist doch Quatsch.» Helene schob unwirsch ihr rotes Haar hinter die Ohren. «Der Weg ist an der Stelle schmal, hast du das nicht gesehen? Vielleicht ist ihm übel und schwindelig geworden. Wir haben alle kein ordentliches Picknick gemacht, dazu war es einfach zu kalt und zu nass. Wir waren alle hungrig und erschöpft. Mir war manchmal richtig schwindelig, das passiert, wenn man lange nichts isst. Ohne Sven wäre ich auch ab und zu gestolpert.»
    «Sooo schmal war der Weg nun doch nicht», widersprach Eva. «Den konnte man mit verbundenen Augen gehen. Ich habe mich jede Minute völlig sicher gefühlt, und dass dieser Tag anstrengend würde, wussten wir. Hier ist nicht die Lüneburger Heide. Einem kräftigen jungen Mann wie Benedikt wird nicht so leicht schwindelig. Wahrscheinlich hat er auch irgendetwas von unten gehört, er wollte nachsehen und ist abgerutscht.»
    «Vielleicht», sagte Edith zögernd, «waren es die Rinder. Die müsst ihr doch auch gesehen haben», erklärte sie, als sie nur fragende Gesichter sah. Riesige weiße Tiere. Die standen plötzlich vor mir, aus dem Nebel aufgetaucht wie Wesen aus einer anderen Zeit. Standen einfach da und starrten mich an. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, mir machen Rinder keine Angst. Wenn man aus der Stadt kommt wie Benedikt, ich meine, wenn man solche Tiere nur aus dem Fernsehen oder aus der Ferne kennt, und

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