Tod Auf Dem Jakobsweg
Kurve, sah den beharrlich aufwärts führenden Weg, und plötzlich stieg ein glucksendes Lachen in ihr auf. Da stapfte sie durch Regen und Wind tausend Meter bergauf, schien allein in dieser lautlosen Welt, sah nichts als nasse Hochwiesen, die schon nach wenigen Metern im Wolkendunst verschwanden — und doch: Es gefiel ihr. Irgendwie. Es war ein kindliches, ein Ausreißergefühl. Oder die vor der vollen Erschöpfung beginnende Hysterie.
Die spanisch-französische Grenze musste schon hinter ihr liegen, sie hatte den Übergang nicht bemerkt. Angeblich gab es nur den einen den Pilgerweg über diese Höhen, tatsächlich führten auch ab und zu schmale Pfade in die Wiesen nicht mehr als zwei Fuß breite sandige Streifen Vielleicht waren das die alten Schmugglerpfade die diese Höhen durchzogen. Pfade, die auch im grenzenlosen Europa noch ihre Funktion hatten.
Schließlich erreichte Leo das Kreuz. Sie strich mit steifen Fingern über das rissige Holz und verstand zum ersten Mal wirklich, warum dieses christliche Symbol der Auferstehung und des ewigen Lebens an so vielen einsamen Pfaden durch menschenfeindliche Gebirgslandschaften aufgestellt war. Es gab den Mühseligen Hoffnung.
Weiter ging es auf einem zerfurchten Wiesenweg, sie fühlte mit Behagen den weichen Grund unter ihren Füßen, und über die nächste Kuppe. Die verabredete Picknickstelle hatte sie sicher längst passiert, doch wer mochte bei diesem Wetter schon Rast machen? Endlich ging es leicht bergab. Der Wind wurde schlagartig sanft, der Regen wieder zum Nieseln. Sie hörte entfernte Stimmen, aus welcher Richtung, war nicht auszumachen. Für einen Moment nur, dann war es wieder still. Sie begann leise vor sich hin zu pfeifen. Sie pfiff schlecht, wie gewöhnlich, gleichwohl nahmen die unmelodischen, eher einem Wispern gleichenden Töne dieser eisgrauen Welt die Kälte und gaben das Gefühl der Geborgenheit. Nun konnte es nicht mehr weit sein. Nicht mehr schrecklich weit.
Leo zog im Gehen ein Stück Brot und einen Apfel aus dem Rucksack, verschlang in plötzlichem Heißhunger beides und spürte tatsächlich neue Kraft. Das Nieseln ließ nach und gab schließlich ganz auf, dafür lag die Welt nun in noch dichterem Wolkennebel, und auch ohne den scharfen Wind blieb es kalt. Rechts des Weges, er war nun voller tiefer Pfützen und schlammiger Stellen, fiel ein karg mit Gestrüpp und krüppeligen Bäumen bewachsener Hang steil ab, auf der anderen Seite, hier stieg der Berg sanft an, wuchs lichter, doch veritabler Wald. Trotz der wattigen nassen Luft gab ihr das Erreichen einer vertrauteren, menschenfreundlicheren Region ein wärmendes Gefühl.
Sie war nun sieben Stunden gewandert, das größere Stück des Weges allein, sie war erschöpft und fror, ihre Beine schmerzten, dennoch fühlte sie sich frei und im Schutz des Waldes tatsächlich geborgen. Plötzlich, so stellte sie erstaunt fest, war sie von einer heiteren Ruhe. Womöglich hatte dieser besondere, aus dem tiefsten Mittelalter tradierte Weg tatsächlich seine eigene Magie.
Sie ließ den Rucksack vom Rücken gleiten, unter dem Cape war er völlig trocken geblieben, zog ihre Wasserflasche heraus und nahm einen tiefen Schluck. Die Flasche war fast leer, aber es konnte nun nicht mehr weit sein. Und verdursten würde sie bei diesem Wetter kaum. Wieder glaubte sie Stimmen zu hören, diesmal von weiter zurück. Oder aus dem Wald? Nebel spielt nicht nur den Augen, sondern auch den Ohren Streiche. Leo beschloss, ein wenig zu warten, es wäre schön, wieder Gesellschaft zu haben. Nicht zuletzt, um sicher zu sein, dass sie keine Abzweigung versäumt hatte und auf dem richtigen Weg war.
Der Wind hatte sich endgültig ein anderes Spielfeld gesucht. Sie schob die Kapuze zurück und setzte sich auf den Stamm einer umgestürzten Buche. Das mächtige Wurzelwerk sah frisch aus, der alte Baumriese hatte sich erst vor sehr kurzer Zeit dem Sturm ergeben. Der Weg war steinig, die Kante des steil abfallenden Hanges brach knapp zwei Schritte neben ihm scharf ab. Bei klarem Wetter würde der Blick weit in die Täler reichen. Auf solche Ausblicke hatte sie sich gefreut. Warum sonst machte man sich die Mühe, in den Bergen herumzukraxeln, wenn nicht wegen der prächtigen Aussicht auf schroffe Gipfel und sanfte Täler? Und hier? Die reinste Waschküche. Der Blick reichte einen Steinwurf weit, anstatt eines atemberaubenden Pyrenäen-Panoramas bot er nur Schemen von Buschwerk und Baumkronen, die aus der Tiefe heraufwuchsen.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher