Tod Auf Dem Jakobsweg
Sage, seien es gar nicht die Mauren gewesen, sondern die Basken, die schon damals für ihre Unabhängigkeit gekämpft hatten.
«Wilde Völker, die Basken wie die Mauren», erklärte Enno und schob grimmig sein Kinn vor. «Haben ihn und seine Männer regelrecht niedergemetzelt. Na ja, die haben sich auch nicht lumpen lassen und ordentlich die Schwerter geschwungen. Zigtausende Tote, auf beiden Seiten, Mann gegen Mann. Dafür wird der alte Roland heute noch besungen. Wäre er friedlich im Bett gestorben, gäbe es kein Rolandslied, und kein Hahn krähte nach ihm, was?»
«Kaum», murmelte Leo. Ihre linke Hand, von einem der Sanitäter desinfiziert und verbunden schmerzte, und Ennos Vortrag begann an ihren Nerven zu zerren. «Aber findest du nicht, wir hatten für heute genug Drama? Kennst du keine erfreulichere Geschichte?»
«Klar», sagte Enno, «das sind nur die Nerven. Trotzdem, das mit den Basken sollten wir bedenken. Die ETA verkündet immer mal wieder den Waffenstillstand, aber wer so lange Bomben gelegt hat, hört nicht einfach auf. Vielleicht hat Benedikt dort an der Kante oder im Wald etwas gesehen oder gehört, was er nicht sollte. Konspiratives Treffen, Waffenschmuggler, was weiß ich. Das ist gut möglich, wir sind hier im Grenzgebiet. Hat er nicht eine Zeit lang in Bilbao gelebt? Ich bin sicher, er hat gestern im Bus so was gesagt, kurz bevor wir das Museum dort erreichten. Womöglich hatte er da nicht ganz saubere Verbindungen, und...»
«Enno!! Auch das ist keine erfreuliche Geschichte! Nina hat einige Monate in Bilbao gelebt nicht Benedikt. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass er etwas mit Untergrundbewegungen und Waffenschmuggel zu tun hat.»
«So was weiß man nie. Einige der größten Verbrecher waren charmante Männer, und junge Leute schlittern schnell ins Schlamassel. Ich könnte dir Sachen erzählen, Leo — na gut, muss ja nicht heute sein.» Da ihm absolut nichts Erfreuliches einfiel, faltete er die Hände vor dem Bauch und schwieg mit wissender Miene.
Rita und Fritz, die beiden Müllers, schoben als Erste ihre Stühle zurück und wünschten gute Nacht. Sie waren während des ganzen Abends sehr still gewesen, hatten den anderen zugehört, ab und an einen Blick getauscht, an ihrem Wein genippt. Als habe sie das unglückliche Ende einer Wanderung, an der sie nicht teilgenommen hatten, ausgeschlossen. Vielleicht war es so, zumindest für diesen Abend. Niemand hatte daran gedacht, sie zu fragen, wie sie den Tag verbracht hatten.
Auch Leo verabschiedete sich. «Ich bin todmüde», sagte sie und blickte zu Jakob hinüber. «Frühstück um acht?»
Jakob nickte. «Wenn ihr einverstanden seid. Mein Angebot steht immer noch: Wer die Reise abbrechen will, kann es sich bis morgen überlegen.» Niemand würde es sich überlegen. Benedikt war leichtsinnig gewesen, das war tragisch, doch nicht genug, um eine lange geplante, ganz besondere Reise sausenzulassen.
Eine Frage hatte Leo noch: «Warum haben sie ihn nach Burgos gebracht, Jakob? Warum nicht nach Pamplona oder Logroño? Dort muss es auch große Kliniken geben, zumindest in Pamplona, und es wäre viel näher gewesen.»
«Keine Ahnung. Sie haben mir nur gesagt, wo sie ihn hinbringen. Morgen früh kann ich in der Klinik anrufen und fragen, wie es ihm geht. Ich bin froh, dass Nina mitfliegen durfte und bei ihm in Burgos ist. Ich denke, wir werden sie dort in unserem Hotel treffen, ich habe angerufen und ihre frühere Ankunft angemeldet. Jetzt in der Vorsaison ist so was kein Problem. Wenn wir in Burgos ankommen, können wir Benedikt besuchen. Dort haben wir sowieso einen Pausentag und jede Menge Zeit. Bis Mittwoch geht es ihm und garantiert besser.»
Jakob Seifert hoffte, niemand bemerkte, dass er dessen längst nicht so sicher war, wie er vorgab. In den letzten zwei Jahrzehnten war er ungezählte Kilometer gewandert, als Reiseleiter und aus reinem Vergnügen, er hatte verstauchte Knöchel, wunde Füße, zahllose Schrammen, einen entzündeten Blinddarm, eine gebrochene Hand und einen allergischen Schock erlebt, aber niemals, nicht in all den Jahren, die er für andere Menschen Verantwortung trug, einen solchen Unfall. Der Gedanke bereitete ihm Übelkeit. Er würde sehr schlecht schlafen in dieser Nacht.
Ruth Siemsen ließ die Tür ins Schloss fallen und streifte schon im Flur die Schuhe ab, sie fühlte das kühle Parkett unter ihren Füßen und seufzte erleichtert auf. Der Tag war turbulent gewesen, das waren alle Tage, mehr oder
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