Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
gewiss lag es nur am Wein, dass es in ihren Augen glitzerte.
    «Und wie gut, dass dein Rucksack und Regencape auf dem Weg lagen, Leo.» Jakob stützte müde das Kinn in die Hände. «Ich wäre sonst glatt vorbeigerannt.»
    «Ja», murmelte Leo. «Ich wollte nur, ich hätte mehr tun können.»
    «Das ist Quatsch», rief Helene wieder. «Was hättest du denn mehr tun können? Ich hätte mich nicht da runtergetraut, schon gar nicht ganz allein.»
    Leo fühlte sich tief erschöpft, an Körper und Seele, und obwohl sie längst einen warmen Pullover trug, fror sie immer noch. Seit sie zurückgekommen waren, sah sie, wann immer sie ihre Augen schloss, das graue Gesicht mit den blutigen Schrammen und den Platzwunden auf Wangenknochen und Braue, glaubte sie, wieder das rutschende Geröll unter ihren Füßen zu spüren.
    Sie hatte versucht, die harten Spitzen ihrer Stiefel in den steinigen Grund zu pressen, versucht, sich festzuhalten und zugleich Benedikt zu umklammern, der schwerer und schwerer wurde und abzurutschen drohte. Das Bild löste auch jetzt noch kurze Wellen der Panik aus, wie am Hang. Das war reine Kraftvergeudung gewesen, die sie sich nicht hatte leisten dürfen. Es hatte nur Minuten gedauert, bis sie Jakobs Stimme über ihrem Kopf hörte, doch die kurze Zeitspanne war ihr wie Stunden erschienen.
    Leo hatte keine Zeit mit der Überlegung vertan, ob es klug war, dort hinunterzusteigen. Sie hatte nicht gewusst, wie weit die anderen vor und hinter ihr gingen. Es mochten Kilometer sein, ihr blieb nichts, als zu hoffen, dass irgend jemand in ihrer Nähe war, ihr Rufen hörte und sie in der Tiefe entdeckte. Benedikt atmete, doch wenn sie ihn ansprach, reagierte er nicht. Sie sprach trotzdem mit ihm, sagte alles, was man in einem solchen Moment sagte, vom Durchhalten, von Hilfe, die schon unterwegs und dass alles gar nicht so schlimm sei. Vielleicht hatte sie es zu sich selbst gesagt.
    Dann war plötzlich Jakob da, er kroch und rutschte den Hang herab und sagte auch alles, was man in solchen Momenten sagt. Diesmal bedeutete es mehr als Trost und Hoffnung.
    Der Krankenwagen, ein schlammbespritztes, jeepartiges Gefährt, brauchte nicht lange, es waren nur wenige Kilometer bis Roncesvalles und Burguete. Als er mit Benedikt und Nina davonrumpelte, langsam und jedes Schlammloch vorsichtig durchtastend, krochen endlich auch Leo und Jakob auf den Weg zurück, ein Nylonseil unter den Achseln verknotet und von Sven und behutsam aufwärtsgezogen.
    Während des letzten Stücks des Weges bis Roncesvalles eilte niemand voraus, blieb niemand zurück. Die wolkenverhangenen Höhen lagen endgültig hinter ihnen. Der Weg war nur noch ein kaum zu erkennender Pfad; von moderndem Laub und Nässe rutschig, führte er strikt bergab durch lichten, noch blattlosen Buchenwald. Im Herbst, wenn wieder Tausende Pilgerfüße darübergewandert waren, würde er breit und ausgetreten sein. Hatte Leo vorhin das endlose Steigen verflucht, sehnte sie sich nun danach Wenigstens nach einer kurzen Strecke. Der Abstieg sah harmlos aus und war doch eine Tortur für die strapazierten Beinmuskeln und Knie. Sie begriff, warum erfahrene Wanderer in bergigem Terrain stets mit Stöcken gingen und wie dämlich es gewesen war, darin ein Zeichen von Schwäche oder Bequemlichkeit zu sehen.
    Endlich schimmerten die Dächer des Augustinerklosters, der Stiftskirche und der Herberge von Roncesvalles durch die Bäume, und die erste Wanderung ging zu Ende.
    Eine Hand auf ihrem Arm holte Leo in die Gegenwart des Speisesaals zurück.
    «Trink noch ein Glas», sagte Felix und füllte ihr Glas, «dann schläfst du besser.»
    Allmählich wurden die Gespräche wieder aufgenommen. Gespräche, in denen es nicht mehr um Benedikt und den erschreckenden Unfall ging. Leo hörte Enno zu, stumm, aber dankbar für die Ablenkung, obwohl er ausführlich erläuterte, was alle schon wussten, nämlich dass Roncesvalles eine der ältesten Pilgerstationen war und wie bedauerlich es sei, dass er im Nebel das Rolandsdenkmal verpasst hatte. Der edle Roland, dozierte er, war Graf der bretonischen Mark und angeblich Neffe seines Königs und Kriegsherrn Karls des Großen. Nach der Zerstörung von Pamplona anno 778 war er just auf diesen Höhen von den Mauren in einen Hinterhalt gelockt worden. Als der tapferste der fränkischen Paladine schlug er sich natürlich heldenhaft, doch selbst sein Wunderschwert Durandal konnte ihn nicht gegen die Übermacht retten, und er wurde getötet. Vielleicht, so eine

Weitere Kostenlose Bücher