Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
erfolgreich sein würde, hatte er sicher nicht eingeplant, aber ebenso sicher auch nicht gefürchtet. Wer dem Tod so oft begegnet war wie Van Helmont, wusste, dass alles Leben und Lieben, Kämpfen und Töten auf Erden nur ein ohnmächtiges Streben nach Dauer ist.
Das künstliche Bein legte er dem Toten nicht an, sondern brachte es als ärztliches Vermächtnis mit all den anderen medizinischen Geräten und Medikamenten ins Krankenhaus, damit es möglichst bald wieder seinen Zweck erfüllte. Zwar war es eine Maßanfertigung, aber die würden sich bei einer der nächsten Amputationen schon den passenden Krüppel zurechtsägen. Als dann aber der Pfarrer leiernd von der Auferstehung des Fleisches redete, hätte Gowers beinahe gelacht.
Ein Bein in Shilo, der Rest in Kapstadt, dachte er. Sie werden denen beim Jüngsten Gericht ganz schön Ärger machen, Doc!
116.
Auch der zweite Weiße verhielt sich sorglos wie ein Kind. Ein Kinderspiel, ihn zu töten, fast keine Aufgabe für einen Singh, einen Löwen, aber sehr gut bezahlt. Nachdem der Weiße das Krankenhaus verlassen hatte, schlenderte er herum wie ein Weib, das nicht weiß, wo es hinwill. Dann ging er in das Haus, wo die weißen Teufel das Papier aufbewahrten.
Er wusste um die Macht des Papiers in der Welt der Weißen, seine Zauberkraft. Ein Papier, im fernen England geschrieben, konnte hunderttausend Männer in Bewegung setzen, Dörfer zerstören, Völker entwurzeln. Er hatte es selbst erlebt, im Punjab und später hier, als die Buren auf ihre großen
Trecks zogen, gejagt vom Papier der Engländer. Dennoch verachtete er das Papier. Es war ehrlos, unmännlich. Und es roch nach der kleinen weißen Frau, vor der alle Engländer im Staub lagen.
Geduldig auf den Fersen hockend, wartete er, bis sein Opfer wieder aus dem Haus der Papiere herauskäme; ein sicherer, ruhiger Mann, ein Könner in seinem Fach. Er tötete gleich gut bei Tag und bei Nacht, es lief auf das Gleiche hinaus. Und sein Kris hatte eine geschwärzte Klinge, damit kein Funkeln, kein Glanz den Mörder verriet.
Gowers war noch einmal an Bord gewesen, hatte sich aber gehütet, vom Tod des Doktors zu erzählen, so schwer ihm das auch gefallen war. Unter dem Vorwand, die letzten Kleinigkeiten Van Helmonts zu holen, hatte er sein eigenes Bündel aus der Kabine geschafft und trug nun die ausgebleichte Offiziersmütze, die er seit dem Krieg in allen Kämpfen getragen hatte. Im Marinearchiv fand er ziemlich schnell, was er suchte, fand alles bestätigt, was er bis dahin nur vermutet hatte, und konnte jetzt seine ganze Aufmerksamkeit dem gedungenen Mörder zuwenden, der draußen auf ihn wartete, um ihn zu töten.
Er hatte die Stadt studiert auf seinem Weg vom Krankenhaus zum Archiv, ihre Straßen, Häuser, kleinen Gassen. Noch einmal schaute er jetzt aus allen Fenstern, plante und wartete, bis es dunkel genug war.
Der Weiße streckte sich und gähnte, als hätte er recht lange über den Papieren gesessen und sei nun satt von ihrem Zauber. Noch immer schlenderte er hin und her wie ein Betrunkener, blieb auch manchmal stehen, schaute verwirrt in verschiedene Gassen. Der Idiot wird sich völlig verlaufen!, dachte der Sikh, als der Weiße plötzlich kurzentschlossen um ein halbes
Dutzend verschiedene Ecken bog. Und dann war er verschwunden.
Irritiert wie nur je ein Mörder ohne Opfer huschte der Singh, der Löwe, hin und her, als wollte er Witterung aufnehmen. Die Schatten waren schon hoch über die Dächer gekrochen, der Himmel war dunkel.
»Guten Abend, Punjabi«, sagte Gowers, der nur zwei Schritte hinter ihm stand.
117.
Wie jeder siegreiche Feldzug des Britischen Empire hatten auch der Krieg auf der Krim und der Fall von Sewastopol mehr Helden übrig gelassen, als man bezahlen konnte. Länger als ein Jahr – zwischen dem Frieden von Paris und dem Ausbruch der indischen Rebellion – gingen wieder Tausende abgedankter Soldaten und Offiziere auf Halbsold in den großen Städten ihrer ziellosen Wege. Sicher war ihre Zahl kleiner und ihre Not zumindest weniger groß als vierzig Jahre zuvor, nach dem Sieg über Napoleon. Industrie, Handel, Verwaltung, die Kolonien, die ganze prosperierende Mitte des 19. Jahrhunderts bot den weniger wählerischen unter ihnen durchaus Lohn und Brot. Aber insbesondere Frontoffiziere, die Blut vergossen, Männer ins Feuer geschickt, fremdes Leben in ihren Händen gehalten hatten, empfanden ein gewisses Recht darauf, wählerisch zu sein, und konnten sich nicht
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