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Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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etwas über fünfzig Jahre alt und konnte die alte biblische Feuersäule nicht wirklich ersetzen.
    Das Problem der Flut war vor allem das ihrer Geschwindigkeit. Wie rasch stieg die Flut! Wie schnell änderte sich alles. Technische, industrielle, wirtschaftliche Veränderungen spülten in wenigen Jahrzehnten Strukturen hinweg, an denen Jahrtausende gebaut hatten. Gnadenlos wie noch nie, ohne Halt, bis auf die Knochen mussten sich die Menschen den ökonomischen Gegebenheiten anpassen – statt umgekehrt –, und die Gewinner in diesem Spiel schienen von ihrer eigenen Haltlosigkeit auch noch entzückt zu sein.
    Beinahe jedes Zeitalter hatte sich selbst für den Endzweck der Menschheitsgeschichte gehalten, aber erst dieses war schamlos und blöde genug, auch die eigene Vergangenheit für überflüssig zu erklären und nur noch Endzweck, Selbstzweck zu sein: aus sich und für sich, ausschließlich, und immer bereit, alles zu vernichten, was dieses Selbstverständnis in Frage stellte.
    Das war die Welt, das Land, in die, an das die Welle ihn
geworfen hatte, vom fernen Northumberland über die warmen und kalten, schließlich die gefrorenen Meere, die großen Städte, New York, New Orleans, London, den endlosen Fluss und den Krieg. Er lachte manchmal darüber, wie viele Leben in seinen noch nicht dreißig Jahren schon Platz gefunden hatten, denn Lachen war letztlich das Einzige, was man der Welle entgegensetzen konnte. Und dann fragte er sich wieder, mit aller Neugier, die ein Investigator, ein Ermittler, ein Detektiv aufbringen konnte, wann, wo und wie er seinen beiden Toden begegnen würde.

115.
    Als er das Krankenhaus verließ, folgte ihm der Schatten, ein Mann, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite den Eingang des Hospitals scharf beobachtet hatte. Der Schatten wartete geduldig auf den Moment, in dem sein Opfer in irgendeine dunkle Gasse einbog, einen lichtlosen Ort, wo er über ihn herfallen würde mit den anderen Schatten.
    Er war ein Sikh, Mitglied jener indischen Kriegerkaste, die die Engländer erst vor ungefähr fünfzehn Jahren besiegt hatten und die sie immer noch fürchteten. Seit er denken konnte, hatte er gegen die weißen Teufel gekämpft oder gegen jeden, den sein Kriegsherr als Feind bezeichnete. Mit zwölf Jahren hatte er seinen ersten Gegner getötet und den eisernen Armring erhalten, der einen Krieger auszeichnete.
    Mit der Niederlage gegen die Ostindische Kompanie brach seine Welt zusammen, gab es keinen Herren mehr, und ohne Schwert und Turban, wehrlos, ehrlos, wie entmannt durch die langen Reihen der widerlichen Sepoys und Gurkhas zu gehen war so demütigend, dass er beschloss, nun sein eigener Herr zu
sein. Er ging in das Land der Schwarzen. Und weil er vielen Herren diente, konnte er sich einreden, keinen zu haben. Er wurde ein Söldner im endlosen Krieg der Burenfarmer gegen die Xosa und Griquas, gegen die schwarzen Teufel. Leicht zu jagende Beute, träge in Hirn und Herz, langsam in allen Bewegungen, allenfalls ausdauernd.
    Er wurde ein gedungener Mörder. Da er nicht mehr mit dem Schwert töten durfte wie ein Singh, ein Löwe, und da er Feuerwaffen verabscheute, deren Gebrauch ihm ehrlos, unmännlich erschien, wurde seine Lieblingswaffe der Kris, jener schlangenförmige Dolch aus den sumpfigen Inseln im Süden, der ihn seiner mystischen Form wegen schon als Kind fasziniert hatte. Der Kris symbolisierte den Weg eines Mannes im Leben, und er hatte zwei Schneiden.
     
    Gowers hatte die Angelegenheiten des Arztes, so gut es ging, geordnet. Da Van Helmont in Südafrika keine Angehörigen hinterließ, keine Freunde, ja nicht einmal Bekannte, setzte Gowers sich selbst kurzerhand als Universalerben ein. Den Inhalt der großen Bücherkiste verkaufte er bis auf ein Buch und finanzierte mit dem Erlös die Beerdigung samt Sarg, Trägern und Pfarrer. Dass er eine erhebliche Summe übrig behielt, hätte der Arzt ihm nicht übel genommen. Beim Durchschauen des Gepäcks fand er außerdem eine Pfeife und eine enorme Menge Tabak.
    Verdammter Sezessionist, dachte Gowers, schwimmt in echtem Virginia und raucht mir meine Zigarren weg!
    Er ging durch, was er an Papieren fand, und legte dem Toten ein kleines Bündel Briefe mit ins Grab. Er hatte sie nicht gelesen, nur kurz gesehen, dass es die Handschrift einer Frau war. Aber diese Geschichte sollte Van Helmonts Geschichte bleiben. Denn hatte nicht der Arzt alle Brücken hinter sich abgebrochen?
Er wollte ins Unbekannte aufbrechen. Dass er dabei derart

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