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Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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miteinander verbanden, hätte eine Bombe neben ihm explodieren können, und er hätte es kaum bemerkt. Aber verletzlich eben in diesem ganz konkreten Sinn: Es hätte eine Bombe neben ihm explodieren können, er hätte sich nicht dagegen gewehrt.
    Deshalb war er froh, wenn er nach dem Auftauchen aus solchen Meditationen Van Helmonts verlässliches, gutmütiges Gesicht vor sich sah, der ihm zu trinken und zu rauchen anbot und jeden Angreifer zumindest aufgehalten hätte.
    »Gibt’s was Neues?«, fragte der Arzt, als sei der Investigator von einer längeren Reise zurückgekehrt.
    »Fragen«, sagte Gowers abwesend.
    »Immer dasselbe«, knurrte Van Helmont, schüttelte den Kopf und nahm sich sein Buch wieder vor, allerdings ohne große Hoffnung, weiterlesen zu können.
    »Fragen«, sagte Gowers und öffnete die Augen, »Fragen machen die unbefriedigte Existenz des menschlichen Geistes in diesem körperlichen Dasein aus. Durch Fragen und immer neue Fragen bekundet er, dass er eigentlich ein Fremdling in der Welt ist.«
    »Hören Sie auf«, sagte der Arzt. »Da geht einem ja die Zigarre aus.«
    »Entweder antworten Sie, oder ich mache genauso weiter …«
    »Dann fragen Sie! Schnell.«
    »Sie sagen, die Dosis ist kontinuierlich erhöht worden, woher wissen Sie das?«
    »Wenn man jemanden über einen längeren Zeitraum mit Arsen vergiften will, ist es absolut notwendig, die Dosis zu erhöhen, weil der Betreffende sonst nicht stirbt. Fragen Sie ruhig weiter.« Van Helmont hielt sich zwischenzeitlich für den weitaus begabteren Detektiv.
    »Aber von einem längeren Zeitraum gehen Sie doch nur aus …«
    »… weil Vivés’ Haare beweisen, dass ihm mehrfach Gift beigebracht wurde!«
    »Mehrfach, das ist das Wort! Warum wurde ihm mehrfach Gift beigebracht?«
    »Das ist bei Arsenvergiftungen beinahe üblich. So wird das Opfer zunächst nur krank, dann geht es ihm immer schlechter, irgendwann stirbt es – und niemand geht von einem Mord aus.«
    »Gut«, wandte Gowers ein, »so funktioniert das in Adelskreisen.
Und überall da, wo ein plötzlicher Tod den Verdacht auf Mord nahelegen würde. Aber ob ein französischer Schiffs - koch nun von heute auf morgen oder innerhalb von fünf Wochen stirbt, wo ist da der Unterschied?«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Sie gehen von einem Menschen aus, der genau weiß, was er tut. Könnte nicht auch das Gegenteil der Fall sein? Dass Arsen einfach das erste Gift war, das ihm eingefallen ist? Und dass er es öfter versuchen musste, weil es beim ersten Mal ganz einfach nicht geklappt hat? Weil er keine Ahnung von der richtigen Dosierung hatte? Und nicht die geringste von Medizin?«
    Van Helmont runzelte die Stirn. »Sie meinen, es war Braddock? !«
    Gowers lachte.
    »Gegenf rage«, sagte der Arzt dann. »Wenn er Vivés einfach nur töten wollte, warum hat er ihm dann nicht den Schädel eingeschlagen oder ihm ein Messer in die Rippen gejagt?«
    »Nun, das wäre dann selbst bei einem Schiffskoch als unnatürliches Ableben gewertet worden!«
    »Warum hat er ihn nicht einfach über Bord geworfen?«
    »Warum hat er nicht beide über Bord geworfen?«
    Van Helmont seufzte und schaute wieder in sein Buch, ohne sich wirklich konzentrieren zu können. Nach einer Weile sagte er ärgerlich: »Er hätte ihn auch totfragen können!«

56.
    Samuel Thompson und Louis Vivés waren einander an Bord der Northumberland begegnet. Sie hatten mehrmals miteinander geredet. Beide waren ermordet worden. Mit diesen dürren Fakten arbeitete der Investigator. Die Annahme, dass die
Morde mit dem Inhalt ihrer Gespräche zu tun hatten, führte zu der logischen Schlussfolgerung, dass der Mörder den Inhalt dieser Gespräche kannte, obwohl er nicht dabei gewesen war. Das wiederum setzte voraus, dass der Mörder seinerseits mit mindestens einem der beiden Opfer gesprochen haben musste. Die Fragen, was? wann? und wie? geredet worden war, konnten oder wollten dem Investigator weder Emmeline Thompson noch George Barclay beantworten. Nur versuchsweise ging er deshalb davon aus, dass Thompson und Vivés einander an Bord der Northumberland nicht begegnet, sondern wiederbegegnet waren, und suchte nach einem Punkt, an dem diese beiden Lebenslinien sich möglicherweise mit einer dritten geschnitten hatten – derjenigen des Mörders.
    Gowers wusste nicht viel vom Krimkrieg, außer dass dort zum ersten Mal seit dem Mittelalter, nach einem halben Millenium tödlicher Feindschaft und vierzig Jahre nach den Napoleonischen Kriegen,

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