Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
Da lauerten sie ihm auf. Verkeilten den Wagen im Gang, ein paar Meter die Strecke hinauf, löschten ihre Lampen und warteten.
Und der Mann kam ebenso wortlos aus seinem Loch heraus, wie er Ben hineinschob. Stand gebeugt, nur ein schwarzer Schatten, über dem kleinen Mädchen und sagte: »Mach!«
Mary-Ann tat, was er wollte, und schwieg, als sei es normal. Weinte nicht, schrie nicht, zitterte nur ein wenig. Und vielleicht war dieses Schweigen, diese wortlose Ergebenheit in ihr Schicksal der Grund dafür, dass der Hass der Frauen stärker
aufloderte, als sie es selber wollten. Hochschlug in den Adern der Erde, eine düstere Flamme, die den Hauer verbrannte.
Der Junge im Flöz merkte es nicht einmal. Hörte nur ein Keuchen, das lauter war als sonst und aus verschiedenen Kehlen kam.
Als Jane das schweißnasse, nackte Fleisch unter ihren Händen fühlte, diese kraftvollen Muskeln sich zum letzten Mal anspannten, die zuckenden Hände in der Erde kratzten, als wollten sie das Erz mit den Fingernägeln aus dem Berg reißen; als Beth den schweren, kantigen Stein fallen ließ und weiter mit bloßen Fäusten auf den Sterbenden einschlug, weil das Glied des Mannes auch in der Agonie nicht kleiner wurde, als Mary-Ann nun doch noch mit zusammengepressten Lippen lautlos zu weinen begann, schaute Ben aus dem Flöz heraus.
Er hielt es für völlig normal, dass Männer auf diese Weise zu Tode kamen.
63.
Erst im Krieg hatte er, ein wenig verwundert, festgestellt, dass es sein Verhältnis zum Tod und zum Töten war, das ihn von anderen Menschen, von seinen Kameraden am deutlichsten unterschied. Für die weitaus meisten Menschen war der Anblick von Leichen eine Art Sensation, die sie mit Grauen, Angst und Trauer, allenfalls mit einer als etwas peinlich empfundenen Neugier verbanden. Auf den Schlachtfeldern wichen diese Gefühle einer Abstumpfung, die meistens zu Ekel, bisweilen aber auch zu einer Rohheit führte, die ganz normale Männer dazu bringen konnte, die Leichen ihrer Feinde und sogar ihrer Freunde zu berauben oder zu verstümmeln.
Es war das Gefühl von Macht in ihrer primitivsten Form,
der Macht der Lebenden über die Toten, das achtzehn-, zwanzigjährige Soldaten dazu veranlasste, gefallenen Südstaatlern oder Offizieren die Hosen herunterzuziehen und über ihre manchmal noch warmen Geschlechtsteile höhnische Bemerkungen zu machen. Bei einigen endete dieser Zustand in Wahnsinn und Irrenhaus, andere wurden brutal, schlugen im Frieden Frau und Kinder aus Entsetzen über sich selbst. Die weitaus meisten wurden mit den Jahren wieder normal, vergaßen, was sie gesehen hatten, und schliefen nur hin und wieder schlecht.
John Gowers kannte das alles nicht, weder Rohheit noch Ekel, keine Abstumpfung, aber auch kein Grauen. Der Tod war für ihn keine Sensation, er sah ihn pragmatisch, fast wie ein Arzt, als etwas Normales, Unumgängliches, manchmal Notwendiges. Deshalb fiel ihm das Töten nicht leichter, aber wo seine Mitmenschen, Kameraden blind um sich schlugen und schossen, in einer durch die jeweiligen Umstände provozierten Art von Raserei, einem Ausnahmezustand, blieb John Gowers stets kalt, überlegt, sogar wenn er aus Rache tötete, was allerdings erst ein einziges Mal geschehen war.
64.
Niemand, nicht einmal die Mutter des Hauers, bezweifelte, dass es ein Unglück war.
Nichts war geschehen, was nicht jeden Tag und immer wieder geschehen konnte.
Als Jane sah, dass ihr neuer Hauer der junge Peters war, achtzehn jetzt und mehr in die Breite als in die Höhe gegangen, wusste sie, dass sich nichts ändern würde. Obwohl anfangs schüchtern und linkisch, war ihm anzumerken, dass
er sich seiner und ihrer Stellung bewusst war. Wusste, dass er nun ein König und für zwölf Stunden ihr fast unumschränkter Herr war. Und niemand da, der ihn verprügeln würde, wenn er sie ansah, und sei es auch, wenn sie ihre Notdurft verrichten musste.
Sie wusste, dass es nicht lange dauern konnte, bis er Bemerkungen machen und sie schließlich anfassen würde. Sie sah alles kommen.
Beratschlagte mit Beth, wie dem zu begegnen sei und ob vielleicht eine Andeutung über das Schicksal seines Vorgängers helfen würde. Aber Beth sagte kopfschüttelnd: »Tu ihm doch einfach den Gefallen!« Hatte zu viel Angst, dass sich eine entsprechende Bemerkung zu weit verbreiten und dann Folgen haben würde.
Jane glaubte tatsächlich, sie spräche von einer gerichtlichen Untersuchung, von Polizei und Zeugenaussagen, aber dann erzählte Beth leise und
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