Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
sonstigen Parkers in schneeweißen Nachthemden erfüllt, halb nackte britische Füsiliere, die aber seltsamerweise alle ihre Stiefel anhatten, brüllten einander widersprechende Befehle, einer fuchtelte sogar mit einem Bajonett herum und schien überhaupt wild entschlossen, einen Platz im erstbesten Rettungsboot zu erobern. Kurz, eine bildschöne Panik brach aus.
Die ersten Matrosen kamen herbeigerannt, die Feuerglocke schlug an, das ganze Schiff schreckte hoch, und Gowers hatte zum ersten Mal das Gefühl, zu weit gegangen zu sein. Vor allem, als das Löschwasser aus einigen voreilig, wenn nicht blindwütig in die Gegend gekippten Eimern Mrs. Parkers nackte Füße berührte. Sie hielt es anscheinend für die ersten Wellen des Ozeans, mithin für die Vorboten ihres unfreiwilligen Seemannsgrabs, und ihr überschnappendes Geschrei
»Wir sinken! Wir sinken!« trug nicht eben zur Beruhigung der Lage bei.
Gowers hoffte, dass Van Helmont inzwischen wieder an Deck war, denn wenn man ihn jetzt auf frischer Tat ertappt hätte, wäre er wohl kurzerhand – und mit Billigung des Predigers – ins Meer geworfen worden. Er machte sich ernsthafte Sorgen um den Arzt, denn mittlerweile drangen wirklich dichte Rauchwolken nach oben.
Er wird es ja wohl nicht übertrieben haben?, dachte Gowers, wurde aber in diesem Moment abgelenkt, weil ein über jedes menschliche Maß erröteter Leutnant der 16. Füsiliere aus Emmeline Thompsons Kabine kam und ihm fast auf die Füße getreten wäre. Carver sah ihn geradezu entsetzt an und stammelte: »Lassen Sie mich erklären …« Aber Gowers winkte ab.
»Keine Zeit. Retten Sie Emmeline!«
Der Leutnant ließ sich das nicht zweimal sagen und eilte mit einer gleichfalls tief beschämten jungen Dame an Deck, die sich aber immerhin die Zeit genommen hatte, sich vollständig anzukleiden.
Man sollte doch öfter mal ein Feuerchen legen!, dachte Gowers, und beinahe gleichzeitig fragte er sich, was eigentlich »Feuer! Alle Passagiere an Deck!« auf Bengali heißt, denn in den drei Kabinen, um die es bei dem ganzen Zauber ging, war noch keine Regung zu hören, obwohl er schon mehrfach an die Türen gehämmert hatte und der Rauch hier am dichtesten war. Eben hatte er beschlossen, die vorderste kurzerhand einzutreten, als sie von innen geöffnet wurde.
»Feuer!«, sagte Gowers. »Alle Passagiere an Deck!« Er wollte seine Hilfe anbieten und stand schon mit einem Fuß in der Tür, da schleuderte ihn ein Stoß gegen die Brust fast zwei Meter zurück.
Er hatte nicht einmal die Bewegung gesehen, rang nach Luft und konnte dabei immerhin beobachten, dass der hagere Inder eine verhüllte Gestalt auf dem Arm hielt und sich den Weg durch den engen Kabinengang mit blitzschnellen Fußtritten und Ellbogenstößen bahnte.
Trotz der Schmerzen in seiner Brust verzog Gowers sein Gesicht zu einem befriedigten Grinsen. Er hatte gewusst, dass dieser Mann kein gewöhnlicher Diener war.
Eine ältere Dame im Sari folgte dem Leibwächter auf dem Fuß, und keine der drei Personen drehte sich noch einmal um, sodass niemand wusste oder verhinderte, dass Gowers in die Kabinenflucht eindrang. Er stellte zunächst fest, dass die Außentüren der beiden hinteren Kabinen verschlossen und mit Gepäckstücken geradezu verbarrikadiert waren. Der hintere Raum schien überhaupt der Kern all dieser Absonderlichkeiten zu sein. Dort war ein Bett aufgeschlagen, das eigentlich in einen Palast oder zumindest in einen englischen Landsitz gehört hätte, und – das war die Entdeckung des Abends – an den Bettpfosten waren seidene Tücher befestigt, denen deutlich anzusehen war, dass sie keine Verzierungen, sondern Fesseln darstellten.
Mit einem kurzen Handgriff stellte Gowers fest, dass das Bett noch warm war, und nicht nur warm, sondern auch feucht, wie vom Schweiß eines Krankenlagers. Mitten im Raum lag ein Buch, als hätte es jemand weggeworfen oder verloren: Alice im Wunderland . Gowers überlegte kurz und nahm es dann an sich. Er brauchte kaum eine Minute, um das Türschloss dieser letzten Kabine und die blockierenden Schrankkoffer so zu präparieren, dass er die Tür von außen einen Spalt weit öffnen konnte.
Die Zeit begann ihm davonzulaufen, und er presste ein Taschentuch vor Mund und Nase. Im mittleren Raum befand
sich ein schmales Feldbett, auf dem verschiedene Stücke indischer Damengarderobe verstreut lagen, ganz so, als habe jemand kurz, aber sehr intensiv überlegt, was man bei Feueralarm auf einem britischen
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