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Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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stockend eine Geschichte, die sie selbst nur gehört hatte und die Janes Blut beinahe zu Eis werden ließ: wie weit weg, in einer anderen Grube, vor langer Zeit einmal Krieg ausgebrochen war unter dem Berg. Zwischen Männern und Frauen. Mit Toten auf beiden Seiten, gezielten Anschlägen, geschändeten Leichen im Schachtsumpf.
    An diesem Abend schrieb Jane zum ersten Mal etwas auf. Sie wusste selbst nicht, für wen – oder was daraus werden sollte. Schrieb von sich und von John, ihrem Leben, seinem Tod – und weinte dabei. Dann von der Arbeit in den Minen, den Dingen, die niemand laut aussprach. Dabei weinte sie nicht mehr. Und schrieb und schrieb, als die Kinder, Beth, Mutter Irvine längst eingeschlafen waren, bis sie selbst nur noch zwei graue Stunden hatte, ehe der Berg wieder über ihr zusammenschlagen würde.
    Sie dachte jetzt nicht mehr an John, wenn sie einfuhr.
Schloss nicht mehr die Augen, sondern sah hoch, nach oben, wo der Lichtpunkt der Öffnung kleiner und enger wurde, wo der Himmel in der Entfernung verschwand wie das letzte Glimmen einer abgebrannten Kerze.

65.
    Auf Gowers’ Brust, rechts, genau auf dem großen Brustmuskel, befanden sich vier kleine Druckstellen, die zuerst rot waren und sich nun langsam dunkel einfärbten. Man konnte es auch ohne Lampe in der Morgendämmerung deutlich sehen.
    »Kräftiges Kerlchen, Ihr Inder«, sagte Van Helmont und musterte die Verletzung mit fachmännischer Miene. »Wenn dieser Schlag Ihren Kehlkopf getroffen hätte, wären Sie jetzt mit einiger Sicherheit tot. Ich hoffe, der ganze Aufwand hat sich wenigstens gelohnt?«
    »Ich konnte mich umsehen. Und Sie?«
    »Oh, es lief alles nach Plan. Abgesehen davon, dass ich … Sagen Sie, ist es normal, dass man in diesen Laderäumen viel stärker das Gefühl bekommt, dass man auf dem Meer eigentlich nichts zu suchen hat?«
    Gowers lächelte. »Sie meinen, auch wenn man kein Feuer legt? Dünne Planken, Eierschale, wesensfremdes Element und all das?«
    »Ja.«
    »Ja.« Er wollte hinzufügen, dass dieses Gefühl bei einem Schiff, das im Eis eingefroren ist, noch hundertmal schrecklicher ist. Weil das Meer dann Hände bekommt, harte, eisige Finger, die das Schiff umklammern, nach seinem Herzen tasten, bis das Holz ächzt unter dem Griff. Aber der Arzt war schon wieder woanders.
    »Aber da war noch etwas …«
    Es klopfte, ehe er fortfahren konnte. Und noch bevor einer von beiden etwas gesagt hatte, platzte ein Schiffsjunge herein, der viel von seiner Frechheit und alles von seiner Selbstsicherheit eingebüßt hatte.
    »Tag, Sir. Entschuldigung, Sir.«
    »Hallo, George.«
    Gowers hatte mit diesem Besuch gerechnet, wenn auch noch nicht so bald und in diesen frühen Morgenstunden. Dem Jungen war allerdings anzusehen, dass er kein Auge zugetan hatte.
    »Ich komme, weil … ich möchte Sie bitten, dass …« Die Haarsträhne spielte verrückt und fiel ihm schneller ins Gesicht, als er sie zurückstreichen konnte. Seine Hände, Knie, der ganze junge Mensch zitterte.
    »Schon gut, George. Ich werde es niemandem sagen.«
    »Danke, Sir!« Er atmete tief durch, und es schien, dass sich seine verkrampften Rückenmuskeln zum ersten Mal seit Stunden entspannten, jedenfalls sackten seine Schultern ein wenig nach vorn.
    »Aber ich will wissen, was du da gemacht hast, heute Nacht in Edens Kabine!«
    »Oh, Sir, ich …« Das Zittern war schlagartig wieder da, aber diesmal war es keine Angst mehr, es war Scham. George Barclay begann zu weinen. Er heulte nicht wie ein Kind, schluchzte nicht wie ein Mädchen, er weinte lautlos und zog nur manchmal die Nase hoch. Dann sagte er leise und schon wieder eine Spur trotzig: »Er bezahlt mich dafür.«
    »Dass du mit ihm ins Bett gehst«, ergänzte Gowers, der keinen Grund sah, einen fünfzehnjährigen Jungen zu schonen, der aus seinem Körper ein Geschäft machte. Der ihn deswegen aber auch nicht verachtete oder ihn demütigen wollte, sondern
ganz einfach sachlich blieb. George bemerkte das und wurde wieder sicherer, hörte auch auf zu weinen.
    »Ja.«
    »Und bist du dabei …« – Gowers versuchte, gleichzeitig sachlich und verständlich zu bleiben – »… der Mann oder die Frau?«
    »Beides, Sir. Er will beides.« Es sollte hart klingen, aber Gowers blieb unbeeindruckt.
    »Machst du es gern?«
    George schnaufte, es konnte ein Lachen oder ein Weinen sein. Schüttelte den Kopf, kämpfte mit seinem Haar, verzog den Mund und suchte sichtlich nach einer Antwort, auch für sich selbst.
    »Er

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