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Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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Außenstehender einen Befehl, eine Aufforderung oder auch nur eine Frage bemerkt hätte.
    »Parker, Sir!«, schnarrte Bell, ohne eine Sekunde zu überlegen. Und vielleicht war es diese beiläufige Präzision, die Gowers erkennen ließ, wer da vor ihm stand. Wenn es überhaupt einen Mann gab, der Sir John Tenniel für das Porträt des verrückten Hutmachers Modell gesessen hatte, war es zweifellos Edward Bell gewesen.
    »Das wird nicht gehen, Sir«, sagte Gowers, durch seine Beobachtung abgelenkt, langsamer, als er wollte. »Sehen Sie, Mr. Parker ist Puritaner …«
    »Und wenn er Negerhäuptling wäre, er wird doch wohl …« Ungewöhnlich weit aus der Fassung gebracht, atmete Radcliffe geräuschvoll aus, um nicht mit derben Worten zu sagen, dass auch der puritanischste Prediger die zur Fortpflanzung der menschlichen Rasse nötigen gesellschaftlichen Rituale vollziehen können sollte.
    »Der junge Mann, Sir«, sagte Gowers höflich, aber bestimmt, »Leutnant Charles Carver, ist Mitglied der britischen Armee und hat damit das Recht, dass Sie als ranghöchster Offizier …«
    »Er hat vielmehr die Pflicht, seine privaten Gelüste zu beherrschen, Mr. Thompson. Dies ist …« Der Kapitän unterbrach sich resigniert: »… dies ist kein Kriegsschiff mehr!«
    »Ist es das erste Mal für Sie, Sir?«, fragte Gowers teilnahmsvoll.
    »Nein«, sagte Radcliffe jetzt wieder eher jovial. Mit einer Handbewegung, die fast ebenso unsichtbar war wie seine Frage nach dem Namen des Missionars, gab der Kapitän seinem Ersten Offizier zu verstehen, dass da ein Schiff zu führen sei, und Bell entfernte sich mit einem gleichfalls kaum wahrnehmbaren Nicken. Die Anekdote, die nun folgen würde, hatte er ohnehin schon öfter gehört, als ihm lieb war.
    »Das hat sich schon mal einer getraut. Auch so ein Plattfuß,
Artillerist.« Radcliffe schüttelte mit einem kleinen, verächtlichen Lachen den Kopf. »Und mitten im Krieg, Mr. Thompson!«
    Gowers war zuerst froh, dass er den grimmigen Herrn des Schiffs endlich zum zwanglosen Plaudern gebracht hatte, aber er bereute es auch sofort, weil er in diesem Moment den bewussten Inder am Heck auftauchen sah. Das durfte einfach nicht wahr sein! Nach fast einer Woche Leerlauf war der Moment gekommen, auf den er gewartet hatte, und dann verstrickte ihn ausgerechnet der Kapitän in ein altes Garn.
    »War im Frühjahr fünfundfünfzig, unterwegs nach Sewastopol, da schmuggelt doch dieser Kerl dieses Knallbonbon, sein Mädchen, an Bord. Spanierin, bildhübsch, als blinden Passagier, Sie verstehen?«
    O ja, Gowers verstand. Der Leibwächter schüttete etwas über Bord, würde in einer Minute wieder verschwunden sein und es wahrscheinlich für den Rest des Monats bleiben. Aber immerhin erfahre ich ja Näheres aus dem Leben des Kapitäns, dachte er bitter.
    »Das geht eine Weile gut. Zu gut, könnte man sagen, denn wir sind noch nicht im Schwarzen Meer, da ist der Mann auch schon verratzt und muss das Mädel heiraten, Sie verstehen? Und verheiratet hab ich ihn, Mr. Thompson. Aber die Flitterwochen hat er im Kabelgatt verbracht.«
    Radcliffe wartete auf beifälliges Gelächter, und Gowers tat ihm den Gefallen zu grinsen. Allerdings weniger wegen der Anekdote und mehr bei der Vorstellung, wie er in diesem Augenblick noch immer über das Schiff sprinten und »seinem« Inder völlig ausgepumpt etwas vom sanften Gleiten in den goldenen Nachmittag erzählen könnte. Der Kapitän steuerte unterdessen gnadenlos auf seine Pointe zu: »Na, sein Pulver hatte er ja auch schon verschossen!«
    Diesmal lachte Gowers pflichtschuldigst, wurde aber gleich wieder ernst.
    »Darf ich meiner Schwester dann sagen, dass Sie einverstanden sind, Sir?«
    Auch ein weniger feinfühliger Beobachter als Kapitän Radcliffe hätte jetzt bemerkt, dass der Mann auf glühenden Kohlen stand. Aber dass dies nur daran lag, dass ein anderer Passagier am Heck des Schiffes ungewohnt versonnen zum Horizont blickte, konnte auch er nicht ahnen.
    »Sie haben es ja mächtig eilig, das Mädchen unter die Haube zu bringen.«
    »Nun, Sir«, sagte Gowers und nahm all seine Kräfte zusammen, um sich auf das Gespräch zu konzentrieren. »Nach dem Tod unseres Vaters trage ich die Verantwortung für Emmeline.«
    »Und die wollen Sie so schnell wie möglich wieder loswerden, wie?«, erwiderte der Seemann grob und erfreute sich sehr an seinem eigenen Scharfsinn, bis er bemerkte, dass sein Gegenüber ihm diese klammheimliche Freude ansah. Da sagte er wieder kurz

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