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Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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angebunden: »Also in drei Teufels Namen: Ja!«, und stapfte davon. Es sah aus, als würde er jeden Schritt auf dem glattgescheuerten Deck genießen.
     
    Gowers musste sich Gewalt antun, um nicht einfach auf den Mann loszustürmen, der seinen Blick noch immer in den Weltrand versenkte. Er bemühte sich stattdessen, möglichst sacht hinter ihn zu treten, aber der Leibwächter schien seine Gegenwart zu spüren und drehte sich um, als Gowers noch mindestens fünf Schritte von ihm entfernt war.
    Mit einem freundlichen Nicken gab er dem Inder zu verstehen, dass er ihn beobachtet hatte, und sagte: »All in the golden afternoon …«
    Aber der riesige Mann hatte sich praktisch noch in der Drehung an ihm vorbeibewegt, und es war seinem Rücken nicht anzumerken, ob er auch nur hörte, wie Gowers weitermurmelte: »Full leisurely we glide.«
    Der Inder war verschwunden. Kopfschüttelnd blickte der glücklose Investigator ihm nach, seufzte dann tief und sah resigniert auf Himmel und Meer. Heute ist einfach nicht mein Tag, dachte er.

77.
    Als Jane in London ankam, war fast ein Drittel des Geldes weg, vor allem wegen der unverschämt hohen Preise in den Relaisstationen. Da sie weder für zwei Pence im Pferdestall noch bei dieser Kälte im Freien schlafen wollte, gab sie zusammen mit der Beförderung und halbwegs genießbarem Essen schon jetzt an einem Tag mehr aus, als sie an zweien verdienen konnte. Etwas muss zusammenbrechen, dachte sie da, die Menschen oder das System. In London sah sie, dass es die Menschen waren.
    Die einzige Herberge, die sie fand, nachdem sie gegen zehn Uhr abends in Whitechapel ausgestiegen war, lag in der Thrawl Street, kostete drei Pence und war schlimmer als jeder Pferdestall. Jane zog weder Kleider noch Schuhe aus, als sie zu zwei fremden Frauen ins Bett stieg, die allenfalls sechzehn waren, aber stärker nach Alkohol und Tabak rochen als jeder Bergmann, dem sie je begegnet war. Im Bett unmittelbar daneben, eine Armlänge von ihr entfernt, schlief ein Paar mit zwei kleinen Kindern, das sich ungeachtet des Lichts, das die ganze Nacht brannte, ungeachtet auch der vielen fremden Augen in dem übervölkerten Raum, den ehelichen oder womöglich
unehelichen Freuden hingab. Jane starrte ungläubig auf die Szene, dachte auch an die Kinder, aber die Kinder schliefen so fest, als würden sie gewiegt.
    Als dann mitten in der Nacht ein chinesischer Matrose seinen Strohsack zwischen den beiden Betten ausbreitete, legte Jane die Reisetasche mit den guten Kleidern unter ihren Kopf und schlief erst gegen Morgen mit Johns Messer in der Hand für eine Stunde ein. Sie würde sich ein Zimmer suchen müssen, bevor sie irgendetwas anderes tun konnte. Das würde wieder eine Menge von dem Geld kosten, das sie in einer schmalen leinenen Katze auf der bloßen Haut trug.
     
    »Vier Shilling die Woche, heißes Wasser extra!«, sagte die hagere, schwarz gekleidete Frau, die elfte oder zwölfte Hauswirtin, die Jane nach einem langen, kalten Tag des Suchens und Wanderns angesprochen hatte. Der Preis war überall ungefähr der gleiche, aber das winzige, dunkle Zimmer war sauberer als alles, was sie bisher in London gesehen hatte, deswegen sagte sie sofort zu. Ihre Füße taten weh, in ihrem Kopf brodelte es, aber was sie am meisten zermürbte, war die Tatsache, dass offenbar doch etwas oder jemand den Weg bis zu ihrem Geld, bis auf ihre Haut geschafft hatte.
    Sie weinte vor Scham, als sie die kleinen roten Punkte auf ihrem Bauch,zwischen ihren Schenkeln sah, denn sie hatte nie Ungeziefer gehabt, und kratzte sich eine Viertelstunde lang die Seele aus dem Leib, ehe sie auch noch »heißes Wasser extra« in Anspruch nahm. Erst am nächsten Tag machte sie sich auf den Weg nach St. Stephan’s Hall , quer durch die riesige Stadt.
    Es dauerte lange, denn Jane bewegte sich unsicher, langsam durch das bodenlose Gewimmel, die Masse der einander schiebenden, drängenden Menschen, der zahllosen Kutschen, hochbeladenen Frachtwagen, vorn und hinten bewacht von
Männern mit derben Knüppeln, die das Bettelvolk und die wilden Kinder zurückhielten und dafür unflätig beschimpft wurden. Sie sah die Heerscharen der fliegenden Händler, Frauen, junge Mädchen mit Bauchläden, auf denen sich Obst und Gemüse in jeglichem Zustand so hoch auftürmten, dass man kaum die Gesichter der Trägerinnen erkennen konnte, nur noch die schmutzige Hand sah, die Farthings und Half Farthings kassierte.
    Riesige Iren brieten Fisch und Fleisch auf schwarz

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