Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
verrußten fahrbaren Öfen, windschiefen Tischchen. Langhaarige, bärtige Klappergestelle von Männern hatten nicht einmal Tische und boten Schwefelhölzer, Hühneraugensalbe, Rattengift, Hundehalsbänder, Rasier- und Federmesser, Schlüsselringe, Schnürsenkel, Hemdknöpfe, Stecknadeln und alles an, was sich in ihren Mänteln und Hüten irgendwie unterbringen ließ. Fliegende Buch-, Papier-, Porzellanhändler, Tuch-und Kleiderverkäufer, Leute, die Goldfische, Eichhörnchen, Schildkröten, Papageien feilboten, Holzkohle, Salz oder Muscheln, Hunde- und Katzenfutter, Tee, Kaffee, Bier, alle Arten von Alkohol, alle Arten von Milch oder manchmal einfach nur Wasser. Und alle schrien aus Leibeskräften ihre Waren aus, sodass man gar nicht mehr hörte, was sie eigentlich anpriesen, nur noch das kakophonische, sich an sich selbst steigernde »Kauft! Kauft! Kauft!«.
Jane ging langsam, gleichsam betäubt, blieb aber nur zweimal stehen; an einer Ecke, wo ein »Professor aus Cambridge« in Glas eingelegte anatomische Monstrositäten sehen ließ und für Geld erklärte, und auf einem Platz, als sie plötzlich über all dem Lärm einen Dudelsack hörte. Killim Callam , ein schottischer Tanz, dessen Melodie sie zuletzt von Johns Lippen gehört hatte.
Sie ging näher heran, sah den alten Soldaten in seinem Kilt,
weißhaarig, graubärtig, beide Augen geschlossen, und erkannte am Tartan, zu welchem Clan er gehörte. Auch das hatte sie von John gelernt.
»MacLean!«, rief Jane, ohne lange zu überlegen und als hätte sie einen alten Bekannten getroffen. Die Umstehenden lachten, nicht so sehr, weil der alte Mann verwundert aufsah, sondern wegen des Mädchens. Jane sah das Mädchen erst jetzt. Sie war ein wenig älter, als Mary-Ann geworden war, aber genauso rothaarig, genauso hübsch. Tanzte den Killim Callam mit nackten Füßen – über zwei gekreuzten Schwertern am Boden. Als sie den Namen ihres Clans hörte, geriet sie aus dem Takt und wäre beinahe in eine der beiden rasiermesserscharf geschliffenen Klingen getreten.
Jane ging weiter, bevor die Augen des alten Mannes sie fanden.
78.
Hilfe kam aus einer gänzlich unerwarteten Richtung, als Gowers, der wieder einmal nicht schlafen konnte, gegen Mitternacht an Deck herumschlenderte. Es war der Schiffsarzt Braddock, der plötzlich in einer Nähe auftauchte, die es unmöglich machte, ihn zu ignorieren.
»Ah, Thompson! Auch noch auf den Beinen?«
Braddock hatte wenig Ansprache an Bord der Northumberland . Zur Mannschaft konnte er in seiner Position keinen persönlichen Kontakt aufnehmen, und die Offiziere hielten ihn offenbar für ein notwendiges Übel. Medizinisch gesehen verlief die Reise bislang ohne besondere Vorkommnisse, wenn man von den beiden Todesfällen absah. Hier ein gebrochener Finger, dort eine kleine Verstauchung, einige Fälle von Geschlechtskrankheit.
Es war nicht gerade das, wovon er während seines Studiums geträumt hatte, und die Aussicht, diesen Dienst noch volle fünf Jahre ableisten zu müssen, verdüsterte bisweilen sogar Braddocks eher simples Gemüt.
»Ein schöner Abend«, sagte er, als Daniel Thompson ihm nur kurz zunickte und Anstalten machte, seinen Weg fortzusetzen.
Gowers verspürte in der Tat wenig Lust auf einen Plausch über die Schönheiten der Seereise und nickte wieder nur, ließ sich aber immerhin zu einem zustimmenden Brummen herbei und blieb neben dem Schiffsarzt stehen. »Sind Sie deshalb noch auf?«
»Nein, eine Patientin, wissen Sie. Merkwürdige Sache!«
Gowers horchte beinahe routinemäßig auf. Merkwürdige Sachen sind im Leben eines privaten Ermittlers das Salz in der Suppe, mithin allemal wissenswert. »Wieso merkwürdig?«
»Na, ich kenne sie gar nicht. Ich hab sie nicht mal gesehen.«
Mit einem Mal erschien dem Investigator das Gespräch mit dem Schiffsarzt höchst anregend, und er bemühte sich, möglichst ruhig nachzufragen, um das kleine Feuer nicht auszutreten. »Wie kann sie dann Ihre Patientin sein?«
»Nun, ihre Gouvernante oder Dienerin, so eine indische Dame, kommt hin und wieder, um meinen Rat einzuholen.« Braddock versuchte, die letzten Worte möglichst gelangweilt zu betonen, so als würde sein ärztlicher Rat etwa hundertmal häufiger gesucht, als es tatsächlich der Fall war.
»Wie zum Teufel diagnostizieren Sie da?« Auch Gowers bemühte sich, seine Frage so zu stellen, als hielte er den Schiffsarzt – ohne rechten Glauben – für einen medizinischen Wundertäter. Nur so ließe sich dem Trottel
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