Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
nur noch für wenige Tage reichen. Sie hasste sich für die einzige Idee, die sie schließlich hatte.
Lady Emily Ashley, geborene Cowper – Nachfahrin eines Dichters auch sie –, hatte die zerfleischenden Selbsterkenntnisse ihres Gatten stets christlich-sorgend begleitet, wusste um seine inneren Kämpfe, kannte auch die äußeren gut genug und stand ihm in beiden nach Kräften zur Seite. Das Billett einer Pfarrerstochter aus – wie hieß das? – Benwell am Tyne war recht ungewöhnlich, aber vielleicht sollte das Mädchen in London zur Schule gehen, gesellschaftlich zulernen, vielleicht auch in eine ehrbare Stellung vermittelt werden, vielleicht …
Es schmeichelte Lady Ashley, dass man ihren Rat bis an die schottische Grenze suchte, dass ihr Ruf als Philanthropin so weit gedrungen war. Die junge Frau, die in der Halle wartete, sah allerdings nicht aus, als müsste sie noch zur Schule gehen oder als würde sie einen christlichen Ratschlag suchen, geschweige denn einen annehmen, wenn sie ihn bekam. Vielleicht lag eine Verwechslung vor?
»Sie sind Jane, Tochter von Reverend Joseph Gowers?«, fragte sie misstrauisch geworden.
»Nicht mehr, Mylady. Mein Vater hat mich verstoßen.«
Großer Gott, eine Gestrauchelte, ein verkommenes Geschöpf, dachte Lady Emily Ashley, und: Wie dreist doch das Bettelvolk wird, wenn einer erst einen guten Namen hat! Ihre Fragen wurden so scharf, wie ihr christliches Gewissen es eben noch zuließ.
»Was wollen Sie hier?«
»Nur einen Moment Ihrer Zeit.«
»Wozu?«
Jane hatte nicht darüber nachgedacht, was sie auf diese Frage antworten würde. Sie konnte auch nie erklären, warum sie tat, was sie tat. Erinnerte sich nur, dass die Schutzflehenden ihre Hände erhoben in allen griechischen oder lateinischen Klassikern. Und Jane hob ihre Hände, die drei Jahre lang Kohle gegraben,
geladen, geschleppt hatten, bis sie dicht vor den Augen der Dame waren.
»Für einen Bericht aus den Minen im Norden!«
83.
Zumindest das Gerücht davon, wer den Gott des Meeres mit solcher Inbrunst und ohne jede Scham verkörpert hatte, begleitete Eden seit Tagen auf Schritt und Tritt. Emmeline war deshalb wenig angetan von dem Gedanken, dass eine solche Skandalfigur ihr Trauzeuge sein sollte. Aber Carver, in blindem Stolz auf die Bekanntschaft mit einer so hochgestellten Persönlichkeit und wild entschlossen, für den Rest seines Lebens mit all den wundervoll abenteuerlichen Umständen seiner Hochzeit anzugeben, bestand auf Seiner Lordschaft.
Die Messe wurde für eine kleine Feier hergerichtet, und auf 32° 18' West und 12° 26' Süd sprachen Emmeline Thompson und Charles Carver das große Volo und waren nun offiziell Mann und Frau. Kapitän Radcliffe hielt keine bewegende Ansprache, sagte aber das Nötige, ohne die Anekdote zu erwähnen, die er Gowers erzählt und die dieser eigentlich jeden Moment erwartet hatte. Einen kleinen Seitenhieb konnte er der jungen Braut jedoch nicht ersparen, indem er sagte: »Ich freue mich, dass Sie so schnell Trost finden konnten, Mrs. Carver!«
Emmeline ärgerte sich schrecklich darüber, dass sie nun die erste Anrede mit ihrem neuen Namen ein Leben lang mit dieser versteckten Zurechtweisung in Verbindung bringen musste, wurde aber schnell durch das Ständchen versöhnt, das Charles’ zahlreich erschienene Kameraden zu diesem Anlass einstudiert hatten.
Gowers, dem solche Veranstaltungen gemeinhin schon als
Zuschauer eher peinlich waren, hatte bereits in dem Augenblick, als Carver damals seinen Antrag machte, insgeheim befürchtet, eine Rede halten zu müssen. Er hatte sogar verschiedene Entwürfe gemacht und war dabei schon in Gedanken so schüchtern geworden, als wäre er die Braut. Darum war er gleichermaßen hocherfreut und tief erleichtert gewesen, als Hauptmann Bledsoe von den 16. Füsilieren zu erkennen gab, dass er sich selbst gerne reden hörte und es als Auszeichnung betrachten würde, diese ehrenvolle Aufgabe zu übernehmen. Der gute Mann schüttelte auch derart viele Metaphern über das Meer der Liebe und das Schifflein des ehelichen Bundes aus dem Ärmel, dass Van Helmont die Zigarre ausging und Kapitän Radcliffes Backenbart sich zu kräuseln begann.
Zum Eklat – jedenfalls für Gowers – kam es dann erst, als man im Anschluss an Bledsoes Ergüsse zum unvermeidlichen Punsch überging. Irgendjemand sprach über den zurückliegenden Spaß der Äquatortaufe, und wohl um von seiner unrühmlichen Rolle bei diesem Ereignis abzulenken oder aber
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