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Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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»Ich musste selbst schon ein paarmal aus der Takelage geholt werden, wissen Sie.«
    »Wie zum Teufel ist sie da raufgekommen?«, fragte Radcliffe verständnislos.
    »Ich fürchte, das weiß sie selbst nicht, Sir«, erwiderte Gowers galant. Der Kapitän zuckte mit den Schultern.
    »Nun ja, es gibt Dinge zwischen Himmel und äh …« Er schaute kurz nach oben, als würde er erwarten, ganze Trauben junger Mädchen in der Takelage hängen zu sehen, »Marsstengen, die sich unsere Schulweisheit nicht träumen lässt.« Radcliffe schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich hoffe nur, Sie wollen das Mädchen nicht heiraten?!«
    »Eher friert die Hölle ein, Sir!«
    »Das beruhigt mich außerordentlich, Mr. Thompson.« Mit dem gewohnt ironischen Kniff um den wohlbebarteten Mund setzte der Herr des Schiffes seinen nächtlichen Rundgang fort und federte beinahe vor Vergnügen.

80.
    Er liebte und fürchtete das Meer auf eine fast religiöse Weise, so wie Einsiedler und Trappisten Gott lieben und fürchten. Ohne Bedingung. Es war das Große, Unbeeinflussbare, das, was immer da war. Er konnte einen Kurs berechnen, Windstärken, Strömungen einschätzen, und der Himmel über dem Meer, am Horizont, sagte ihm viel über das Wetter der nächsten Stunden.
    Aber er konnte das Meer nicht verändern, beherrschen, das Meer tat, was es tat. Man musste sich ihm hingeben. Alles Planen, Wollen und Hoffen, jede Art von Geschicklichkeit verschwand irgendwann, unterlag, wurde wertlos – wenn auch nicht unwichtig – auf dieser größten aller Wellen. Gott und das Meer waren deshalb den meisten Menschen unheimlich, sie beteten, opferten in ihren kleinen Kirchen eigentlich nur in der irrsinnigen Hoffnung, dem Unbeeinflussbaren dadurch irgendwie ein Schnippchen zu schlagen. Eine Art Rechtsanspruch auf Seligkeit oder klaren Himmel zu erlangen. Ihr »Nicht wie ich will, sondern wie du willst« blieb ein lebenslanges Lippenbekenntnis, und ihre Gottesfurcht war eine Furcht ohne Respekt, war nichts als die Angst, irgendwann erwischt zu werden, auch wenn sie nicht das Geringste getan hatten.
    Noch bei den dümmsten, abgestumpftesten Seeleuten war das anders. Ihre Furcht vor dem Meer war eine stolze, respektvolle Furcht, nur ihre Liebe war demütig. John Gowers hatte das als Vierzehnjähriger erfahren, in einem Sturm, der nicht von dieser Welt war. Zwischen turmhohen Wellen, von denen ein besonders fantasievoller Matrose nachher behauptete, er habe ertrunkene Walfische darin treiben sehen, und gegen die keine Kunst, keine Maschine etwas ausrichten konnte, schon
gar nicht der kleine umgebaute Walfänger namens Investigator auf seinem Weg durch den Südpazifik.
    Sie hatten gekämpft, wo Kampf sinnvoll war, waren ausgewichen, wenn sie ausweichen konnten. Sie hatten alles richtig gemacht; und wenn man alles richtig macht, das hatte der Junge, mit einem Tau an den übrig gebliebenen Stumpf des Großmasts gebunden, erkannt, dann ist nicht mehr wichtig, ob man überlebt oder untergeht. Denn dann ist auch der Untergang richtig.
    John Gowers’ Kämpfe waren seither nur noch die Kämpfe gegen Beeinflussbares gewesen, gegen Umstände, die er verändern konnte. Meist also Kämpfe gegen Menschen. Die hatte ihn nicht das Meer, sondern seine Mutter gelehrt.

81.
    Vor St. Stephan’s Hall , den Houses of Parliament sah sie zum ersten Mal, wie aussichtslos ihr Unternehmen tatsächlich war. Hier standen nicht Dutzende, sondern Hunderte von Petenten, wohlgerollte Schriftsätze in den Händen, nie mehr als ein Blatt, leicht zu lesen und hübsch farbig verschnürt. Jane hatte nur das Heft, in das sie in den vielen kurzen Nächten ihre Beobachtungen, Erfahrungen, Geschichten, Gedanken niedergeschrieben hatte, dazu einen kurzen Brief, in dem sie darum bat, dass dieser Bericht gelesen und gewürdigt werden möge.
    Als die Abgeordneten aus dem Parlamentsgebäude herausströmten und all diese Kaufleute, Kleinunternehmer, Rechtsanwälte, Hausbesitzer erst die Abgeordneten selbst und dann auch ihre Droschken umlagerten, unablässig ihre Petitionsröllchen schwenkten und dabei ihr »Ehrenwerter Herr, hier«, »Ehrenwerter Herr, da« durcheinanderschnatterten, musste sie
lachen. Halb über dieses Bild und halb über die Vorstellung, wie sie selbst ein Teil dieses Bildes sein würde.
    Noch erstaunlicher als dieses Schauspiel war die Geschwindigkeit, mit der sich alles auflöste. Keine Viertelstunde nach Ende der Sitzung war der Platz vor St. Stephan’s Hall leer, all die

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