Tod Auf Der Warteliste
Borgo Teresiano und sah tatsächlich zwei Damen der besseren Gesellschaft laut schwatzend aus einem der Läden kommen. Eine hielt ein Handtäschchen hoch, das sie soeben dort erstanden hatte, und schwärmte vom günstigen Preis. Sie hatten Laurenti Gott sei Dank nicht erkannt, und er ging ein Stück hinter ihnen her. Er hörte, daß auch die andere schon Kundin der Chinesen war. Sie erzählte von einem Morgenmantel aus Kunstseide, den sie dort erstanden hatte. Laurenti hatte den Eindruck, als herrsche ein kleiner Wettbewerb unter den Wohlhabenden, bei jenen zu kaufen, über deren Existenz man sonst grob schimpfte und sich über den angeblichen Ausverkauf der Stadt beklagte. Alles verlogen. Laurenti fühlte sich einsam. Der Hund fehlte ihm. Er hätte Scoglio vorschlagen sollen, in einem Restaurant essen zu gehen, wohin er Cluzot hätte mitnehmen können, anstatt ihn Sgubin anzuvertrauen. Er fühlte sich miserabel. Ein Haufen Arbeit wartete mit der Analyse der Gegenstände aus Lestizzas Haus auf ihn. Es konnte Tage dauern, bis man daraus irgendwelche Schlüsse ziehen konnte, dabei hatte sich seit heute morgen plötzlich der Druck, unter dem er stand, unerträglich erhöht.
Der Staatsanwalt erwartete ihn in Begleitung seiner Leibwächter auf der obersten Stufe der breiten Treppe, die zum Justizpalast hinaufführte. Laurenti sah ihn von weitem und warf einen Blick auf die Armbanduhr, doch er war nicht zu spät. Als Scoglio ihn sah, kam er die Treppe herunter.
»Ich wollte Ihnen vorschlagen, daß wir außerhalb eine Kleinigkeit zu uns nehmen. Auch wenn es länger dauert, aber die Kantine kann ich einfach nicht jeden Tag ertragen.«
»Dann hätte ich den Hund doch mitnehmen können.«
»Ich habe schon von ihm gehört«, sagte Scoglio. »Das war auch ein Grund, nicht in die Kantine zu gehen. Wo ist er?«
Laurenti winkte ab. »Wohin gehen wir?«
»Was halten Sie von dem Chinesen in der Via Brunner?«
»Das chinesische Essen hat mir Galvano vor längerer Zeit ausgetrieben. Mir wäre die Spaghetteria in der Via San Francesco lieber.«
Es war nicht weit. Scoglios Beschützer folgten mit etwas Abstand.
»Wie halten Sie das aus, Staatsanwalt?« fragte Laurenti. »Sie werden auf Schritt und Tritt bewacht. Können Sie überhaupt noch frei atmen?«
»Man gewöhnt sich daran. Am Anfang hat man so etwas wie Verantwortungsgefühl gegenüber den Männern vom Personenschutz und will sie ständig zum Essen einladen oder sorgt sich, daß sie sich erkälten könnten. Aber irgendwann gewöhnt man sich daran und nimmt sie kaum mehr wahr. Übrigens, das mit der Überwachung von Tatjana Drakič ist geklärt. Ich habe alles unterzeichnet. Ich bin wirklich neugierig, ob Sie etwas erreichen. Ein bißchen Sturheit müssen Sie sich schon nachsagen lassen, Laurenti. Drei Jahre ist das her, daß Sie die Dame hochgenommen haben, drei Jahre ist der internationale Fahndungsbefehl nach ihrem Bruder Viktor in Kraft, und niemand hat ihn bisher irgendwo gesehen, drei Jahre sind es inzwischen, daß Sie als einziger davon überzeugt sind, daß Drakič noch lebt.«
»Ich habe seine Schwester fünfmal im Gefängnis vernommen. Nach ihrer Verurteilung. Es ging immer um das alte Thema: Mädchenhandel, Zwangsprostitution, Erpressung. Sie saß seelenruhig im Bau, Staatsanwalt, so seelenruhig, als hätte sie eine große Sicherheit im Rücken und als wäre es einfach ein längerer Urlaub, in dem sie sich befand. Sie hatte nie eine Krise und war außerdem ziemlich unantastbar, was die Knasthierarchie betraf. Ganz einfach so, als gäbe es jemanden, der sie beschützt. Und wer außer ihrem Bruder konnte das sein?«
»Dazu müßte er einen sehr langen Arm haben.«
»Es ist doch denkbar, daß er ein paar Verbündete hat. In diesem Geschäft arbeitet man immer in Netzwerken. Aber wem sag ich das.«
»Hoch spekulativ. Aber das gehört zu unserer Arbeit.«
»Ich glaube einfach nicht, daß er sein Ende damals in den Trümmern des Motorboots fand. Warum haben wir seinen Komplizen gefunden und Drakič nicht?«
»Aber unverletzt kann er das nicht überstanden haben, und die Polizeiboote waren sofort zur Stelle. Wie ist er dann entkommen?«
»Falls wir ihn erwischen, werden wir es erfahren. Solange müssen wir seine Schwester beobachten.« Laurenti verschwieg, daß seine Beamten die Dame schon überwachten, bevor die Anordnung vorgelegen hatte.
»Hoffentlich geht es schnell, Laurenti. Sonst laufen uns die Kosten davon, und ich muß mich irgendwann dafür
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