Tod Auf Der Warteliste
Hundeesperanto.
Laurenti kniete sich neben ihn und wühlte in dem Haufen herum, bis er schließlich auf ein Plastikröhrchen für wasserlösliche Vitamintabletten stieß, das der Hund so interessant fand, daß er wieder bellte. Laurenti schraubte den Verschluß ab und zog ein Plastiksäckchen heraus.
»Sgubin«, rief er. »Der Mann hat gekokst.«
»Die ganze Stadt tut das«, rief sein Assistent von oben. »Das ist normal.«
»Das ist mir neu«, sagte Laurenti verblüfft.
»Wieviel ist es?« Sgubin kam die Treppe herunter.
»Gut zehn Gramm.« Laurenti wog die weiße Masse in der linken Hand. »Hier, der Stoff war in diesem Röhrchen.«
»Ein Klassiker. Im Verschluß ist so ein Zeug, um die Medikamente trocken zu halten. Laß mal sehen.« Sgubin feuchtete eine Fingerspitze an und probierte. »Nicht schlecht. Kaum verschnitten. Normalerweise schmeckt man das Backpulver gleich heraus oder das Zeug aus der Zahnmedizin.«
»Der schien eine gute Quelle zu haben.«
»Ich kenne einige Ärzte, die koksen. Auch Anwälte und andere. Sie ziehen das Zeug rein wie Staubsauger. Erinnere dich an die Kundenliste von dem Dealer, den wir an Weihnachten hochgenommen haben. Merry white Christmas.«
Vor einigen Jahren hatte Laurenti auf einer Party Kokain probiert, um zu wissen, wie es wirkte. Aus reiner Neugier natürlich. Seine Freunde lachten, als er auch ein zweites, drittes Mal das weiße Pulver in die Nase zog und anschließend unter einer allergischen Niesattacke litt.
Daran, daß manchmal in seiner Gegenwart gekifft wurde, hatte er sich gewöhnt. Dagegen war schon lange nichts mehr zu machen. Aber Kokain paßte ihm nicht in den Kram. Er erinnerte sich, wie er 1980 als junger Polizist in seinem dritten Jahr in der Stadt eher per Zufall einen Kokain-Ring hochgehen ließ. In der Via Buonarotti in der Wohnung eines bekannten Kaufmanns nahmen sie einige Männer fest, die kaum älter waren als er. Einer war ein amerikanischer Basketballprofi, der beim Erstligisten »Hurlingham Trieste« spielte. In den nachfolgenden Untersuchungen stellte sich heraus, daß das Apartment schon seit geraumer Zeit der Jeunesse dorée als Treffpunkt für Drogen und Sex gedient hatte. Laurentis Glückstreffer trug ihm die Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten ein und wesentlich zum weiteren Verlauf seiner Karriere bei. Die Verhaftungen hatten allerdings nicht gerade neue Freundschaften gestiftet. Manchmal sah er einige dieser Leute auf der Straße, der eine oder andere hatte inzwischen wichtige Positionen erklommen. Wenn man Sgubin glauben wollte, schnupften sie noch immer. Ob der Arzt mit ihnen zu tun gehabt hatte?
Als nächstes nahm er sich das Arbeitszimmer vor. Es machte nicht den Eindruck, daß Lestizza dort viel Zeit verbracht hätte. Alles war pedantisch an seinem Platz. Nur ein paar Ordner mit privaten Unterlagen, Rechnungen der Stadtwerke und der Telecom, Versicherungskram und die Karten zu Weihnachten und Neujahr lagen wild über den Schreibtisch verstreut. Man sah auf den ersten Blick, daß die Unordnung nicht von Lestizza angerichtet worden war.
»Sgubin«, rief Laurenti. »Was haben eigentlich die Kollegen von der technischen Abteilung hier wirklich gemacht, außer Weihnachtskarten zu lesen? Das Kokain haben sie nicht gefunden, alles außer dem Schreibtisch befindet sich in wunderbarer Ordnung und keine Spur von der Spurensicherung. Alles muß man selber machen.«
Von oben kam keine Antwort.
Der Blick auf die Kontoauszüge machte Laurenti wieder einmal den Unterschied zwischen Arzt und Polizist deutlich, doch verspürte er nur wenig Neid. Den Leuten die Haut über die Ohren zu ziehen, war auch nicht das Gelbe vom Ei. Er nahm die Ordner und stellte sie in den Flur. Dann warf er einen Blick auf die Bibliothek, die die Breite des Raums einnahm und so penibel eingeräumt war, als wäre sie nur zur Dekoration da. Kein Staubkörnchen bedeckte die Buchschnitte und erst recht nicht die Regalfächer. Keines der Bücher ragte aus den anderen heraus. Eine Meisterleistung der Putzfrau. Laurenti las die Titel auf den Buchrücken und konnte sich kaum etwas darunter vorstellen. Es waren teure Bände medizinischer Fachliteratur in verschiedenen Sprachen. Er zog ein paar der Werke heraus und blätterte darin. Er fragte sich, ob Lestizza sie wirklich alle gelesen hatte, und vor allem wollte er wissen, welche Fachgebiete sie abdeckten. Er brauchte Rat. Galvano wäre dankbar, wenn Laurenti ihn darum bitten würde, die Bibliothek unter die Lupe zu
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