Tod Auf Der Warteliste
weg wie Fliegenschiß. Als er sie kurz darauf an seinem Oberarm spürte, blieb er allerdings stehen und drehte sich um. Er schaute in den Lauf einer Pistole. Der Mann machte mit der freien Hand ein Zeichen, daß er weitergehen sollte.
»Das ist nicht nötig«, sagte Dimitrescu. »Ich bin doch kein Gefangener.«
»Halt’s Maul und geh weiter.«
Der Mann hatte ihn offensichtlich nicht verstanden. Dimitrescu gehorchte und ging die letzten Stufen hinunter. Die Frau zeigte auf das Tablett, das sie auf dem Boden vor der Kellertür abgestellt hatte.
»Tee«, sagte sie, als wäre es ein Befehl.
Dimitrescu bückte sich, um es aufzunehmen. Dann spürte er einen harten Schlag im Genick und fiel vornüber.
Als er wieder zu sich kam, sah er zuerst seine Füße und dann den Rücken eines Mannes in einer orangeroten Weste mit einem Rot-Kreuz-Aufnäher am Ärmel. Die Sanitäter trugen ihn auf einer Tragbahre die Treppe neben dem Haus hinauf. Seine Arme und Beine waren mit Gurten festgezurrt. Hinter sich hörte er die Stimme der Alten, die vermutlich mit dem Mann sprach. Vor dem Seiteneingang stand ein Krankenwagen, dessen Hecktüren geöffnet waren. Dimitrescu sah den Schriftzug auf dem Fahrzeug: »La Salvia«. Er schloß die Augen, als die Männer die Bahre auf die Schienen hoben und sich zu ihm herumdrehten. Er war ruhig, denn er erinnerte sich an den Namen. Der Vermittler, den er zwischen den Containern im Hafen von Constañta aus dem Weg räumte, hatte ihn genannt, als er noch versuchte, Dimitrescu von dem Geschäft zu überzeugen. »La Salvia«, hatte er gesagt, sei eine internationale Spitzenklinik und erledige Nierentransplantationen wie den Wechsel eines Autoreifens. Alles sei absolut sicher. Er konnte nicht ahnen, daß Dimitrescu nur darauf gewartet hatte, endlich dorthin zu kommen.
*
Laurenti hatte sich mit Staatsanwalt Scoglio in der Gerichtskantine zum Mittagessen verabredet und war eine halbe Stunde zu früh. Er ließ sich von Sgubin an der Piazza Libertà vor dem Bahnhof absetzen und wollte selbstverständlich den Hund mitnehmen, doch Sgubin meinte, daß Cluzot wohl kaum in die Kantine durfte. Sgubin sagte, er würde sich gerne um das Tier kümmern, schon der Spaziergang am Morgen hätte beiden gutgetan, und wie er sehe, würde der Hund ihn mögen. Laurenti stimmte mürrisch zu.
Er hatte keine Lust, durch die Unterführung auf die andere Straßenseite zu gehen, und versuchte deshalb, zwischen den Autobussen und dem mehrspurig fließenden Verkehr den Park in der Mitte des Platzes zu erreichen. Ein Kunststück. Hier war einst der Treffpunkt der wenigen Penner der Stadt, doch der Stadtrat hatte beschlossen, sie zu vertreiben. Aber nicht um das Denkmal für Kaiserin Elisabeth, das erst ein Jahr zuvor restauriert worden war, zu schützen, denn auch das war den Rechten ein Dorn im Auge. Längst gab es Pläne, Sisi an einen anderen Ort zu transferieren und hier ein Mahnmal für die »Gefallenen von 1953« zu errichten. Laurenti mußte es sich erklären lassen, als die Proteststürme gegen das Vorhaben die Berichterstattung des »Piccolo« dominierte. Bis 1954 war die Stadt eine autonome Zone, das berühmte »Territorio libero di Trieste«, und stand unter der alliierten Militärverwaltung. Die Engländer führten das Kommando, doch wieder war der Drang der größten Bevölkerungsgruppe, zu Italien gehören zu wollen, so groß, daß er sich durch nationalistische Politiker instrumentalisieren ließ. Die Gedenktafel am Palazzo Pitteri auf der Piazza Unità kannte Laurenti natürlich. Bei gewalttätigen Demonstrationen war es dort zu Toten gekommen – das Vorgehen der Engländer war nicht sonderlich intelligent gewesen: Sie schossen blind in die Menge. Laurenti verstand den Denkmalswahn der neuen Stadtregierung nicht. Für ihn war Triest italienisch genug, und seit er hier lebte, hatte er gelernt, daß sie noch mehr war. Eine europäische Stadt, in der sich neunzig Ethnien vermischt hatten. Die Faschisten wollten es einfach nicht wahrhaben und ergingen sich in provinzieller Machtpolitik, die schon dreißig Kilometer weiter undenkbar war. Das Sisi-Denkmal hielt Laurenti für genauso unnötig wie jedes andere, und ein Meisterwerk der Bildhauerei war die Skulptur, unter der in großen Lettern der Name »Elisabetta« stand, auch nicht. »Kitsch«, sagte er zu sich selbst. Wenigstens stand es so weit in der Mitte des kleinen Parks, daß es nicht weiter auffiel.
Laurenti durchquerte Triests kleine China Town im
Weitere Kostenlose Bücher