Tod Auf Der Warteliste
nehmen. Er zog das Mobiltelefon aus der Jackentasche und rief ihn an.
»Also für solche Hilfsarbeiten wollt ihr mich haben«, meckerte Galvano. »Kann das nicht jemand anderes übernehmen.«
»Stellen Sie sich nicht so an, Doc«, sagte Laurenti. »Hier braucht es einen Experten. Ich möchte, daß Sie sich auch das Haus ansehen. Ich habe noch immer nicht den geringsten Eindruck von diesem Mann. Alles wirkt so steril, aufgeräumt und unbenutzt. Wer die Mentalität eines Arztes verstehen will, muß selbst einer sein. Die Bücher sind doch nur ein Teil. Wann können Sie kommen?«
»Heute nicht. Ich habe zuviel zu tun. Nur Termine.«
Laurenti lachte. »Natürlich. Rentner sind immer beschäftigt. Keine freie Minute. Galvano, es ist dringend.«
Der Alte zierte sich noch ein bißchen, versprach aber schließlich, daß er sich am späten Nachmittag von Sgubin abholen lassen wollte.
Als sie ein paar Plastikwannen mit Unterlagen zum Wagen trugen, sah das Haus aus wie nach einem Einbruch, bei dem frustrierte Diebe sich durch Vandalismus daran rächten, daß sie kein Bargeld fanden. Auch der Gang durch den Garten hatte nichts ergeben. Der wichtigste Fund schien ein Adreßbuch zu sein, das neben dem Telefon im Salon gelegen hatte. Unzählige Nummern von Kollegen Lestizzas in vielen Städten der Welt mit einer auffälligen Häufung in Südosteuropa und vor allem in Istanbul. Die Negative, die er in einer der Schubladen gefunden hatte, wurden von Sgubin zum Entwickeln gebracht, das Kokain war auf dem Weg ins Labor. Über den Bankunterlagen wollte Laurenti am Nachmittag selbst brüten und, falls er nicht weiterkam, einen Kollegen von der Guardia di Finanza hinzuziehen. Die würden auf jeden Fall etwas finden.
*
Dimitrescu hatte geduscht und eine Weile an dem Tisch vor dem Fenster sitzend gewartet. Er wußte nicht, wie spät es war, und erst recht nicht, ob er sich darauf verlassen konnte, daß er wie jeden Morgen gegen sieben Uhr aufgewacht war. Die Reise hatte ihn erschöpft, und es konnte durchaus sein, daß er länger als sonst geschlafen hatte. Er zählte die Tage nach: Heute mußte Donnerstag sein. Als er längere Zeit niemanden hörte und durch das geöffnete Fenster die Frühlingsluft fühlte, beschloß er, selbst die Tür zu öffnen. Sich an den Fenstergittern zu versuchen wäre vergeblich gewesen, doch an der Tür mußte er nur ein paar Schrauben an den Beschlägen lösen. Er suchte in der Werkzeugkiste nach einem Schraubenzieher und machte sich an die Arbeit. Es dauerte nicht lange, bis er die Tür aus dem Rahmen ziehen konnte, die Scharniere wieder anschraubte und sie einhängte. Dimitrescu ging in den Garten hinaus und hörte wieder das Rumpeln, das nach langen, aber regelmäßigen Pausen über die Mauer drang. Neugierig ging er die Treppen hinunter zu einem Komposthaufen, auf den er steigen und den Mauerrand fassen konnte. Er zog sich mühelos hinauf und setzte sich mit verschränkten Beinen auf die Mauer. Er sah die Gleise und wartete. Eigenartigerweise war er gut gelaunt. Zweimal sah er den vorbeikommenden Straßenbahnen zu, deren Gleise sich genau an diesem Abschnitt der Steilstrecke zu einer Ausweichstelle teilten. Und er sah, wie das dicke federnde Stahltau, das die Waggons verband, über die Umlenkrollen lief. Plötzlich hörte er Rufe und schaute zum Haus hinauf, blieb aber auf seinem Aussichtspunkt sitzen. Die Alte stand vor der offenen Kellertür und hielt ein Tablett in der Hand, das sie auf den Boden stellte und dann im breitesten Dialekt zeternd die Treppen nach oben lief. Sie dachte sicher, er sei geflohen. Kurz darauf kam sie in Begleitung eines Mannes zurück, der das Schloß prüfte und mit der Frau schimpfte. Dimitrescu lachte, dann rief er und winkte. Der Mann hielt die Hand über die Augen, damit die Sonne ihn nicht blendete, und brauchte eine Weile, bis er Dimitrescus Platz ausgemacht hatte. Dann rannten beide auf ihn zu. Dimitrescu stand auf und sprang auf den Komposthaufen hinab. Er erwartete sie lachend. Als der Mann nach seinem Arm greifen wollte, wich er aus.
»Kaffee?« fragte Dimitrescu.
Er verstand nicht, was die beiden zu ihm sagten. Freundlichkeiten waren es auf jeden Fall nicht. Die Frau zeigte nach oben, und Dimitrescu wiederholte seine Frage.
»Kaffee?«
»Tee! Los, beweg dich schon. Das hier ist kein Hotel.«
Die Frau ging voraus, der Mann hinter ihm her. Er war nicht besonders groß, und Dimitrescu wischte seine Hand, die er ihm auf die Schulter gelegt hatte,
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