Tod Auf Der Warteliste
Bücher in seinem Arbeitszimmer waren Spezialliteratur zu genau diesem Thema, für das ›La Salvia‹ wohl kaum eingerichtet ist. Es muß übrigens gar nicht unbedingt im Inland gewesen sein. Es gibt Mediziner, die lassen sich für solche Dinge anfordern. Ärztekongresse sind ein effizientes Netzwerk. Man hilft sich gegenseitig, teilt den Gewinn, und wenn es zu Ermittlungen kommt, sucht doch keiner einen Arzt aus dem Ausland. Prüfe mal, wo Lestizza zuvor gearbeitet hat, an welchen Krankenhäusern, in welchen Ländern und mit welcher Spezialisierung.«
Laurenti dachte an die Heftchen mit Nähzeug aus den Top-Hotels der Welt. Hatte Lestizza dort tatsächlich Menschen aufgeschnitten und wieder zugenäht? Er wühlte in seinem Schreibtisch nach dem Paß des Arztes. Vielleicht war wirklich etwas dran an dieser Theorie. Auf jeden Fall war es doch kein Fehler gewesen, Galvano anzufordern. Endlich hatte er das Dokument gefunden und blätterte darin. »Hier«, sagte er. »Malta und Zürich. Sgubin, laß das Melderegister raus, damit wir wissen, in welchen Städten er im Inland war.«
»Kennst du den ›Vu compra‹, der immer die Via San Nicolò hoch und runter geht und seinen Nippes zu verkaufen sucht?« fragte Galvano.
»Da ist nicht nur einer.«
Viele Schwarze waren im Stadtzentrum unterwegs, die versuchten, Sonnenbrillen, Feuerzeuge, Lederwaren und Raubkopien von CDs oder DVDs zu verkaufen. Mit »Vu compra« wurde man früher von ihnen angesprochen, als sie noch kaum Italienisch konnten. Inzwischen sagten sie »Ciao amico«, wenn sie einem den Weg verstellten. Manche kamen aus Somalia und dem Senegal, andere waren die Brüder der schwarzen Prostituierten aus Nigeria, die auf dem europäischen Markt ausgebeutet wurden und deren Familien unbezahlbare Kredite bei der Organisation aufgenommen hatten, weil sie glaubten, daß ihre Töchter damit eine gutbezahlte Hausarbeitsstelle in Europa bekamen. Alle wurden erpreßt, das wußte Laurenti. Es waren gutorganisierte Drückerkolonnen, deren Mitglieder bei jeder Witterung bis zum Umfallen arbeiteten und von dem Geld, das sie einnahmen, kaum etwas sahen.
»Ich meine einen bestimmten«, sagte Galvano. »Ein ganz dünner Großer, der hinkt und dessen linkes Auge blind ist. Du kennst ihn.«
»Was ist mit ihm.«
»Hundert Euro Einsatz, Laurenti. Ich wette, daß er sowohl seine Netzhaut verkauft hat wie auch seine Niere, um die Reise nach Europa zu bezahlen.«
»Staatsanwalt Scoglio arbeitet mit seiner Truppe an dieser Sache. Aber angeblich liegt noch nichts Beweisbares vor. Und weshalb war der Rumäne dann hier? In Triest, in Italien?«
»Vielleicht gibt es auch bei uns geheime Kliniken? Es würde Sinn machen, denn hier könnte man auch die Nachbetreuung übernehmen. Alles viel risikofreier für den Organempfänger als in Istanbul. Der Spender wird nach drei Tagen zurückgeschickt und weiß nicht einmal, wo er war, falls er illegal über die Grenze gebracht wurde. Wenn er dann zu Hause irgendwann aussagt, nützt das gar nichts, weil niemand weiß, wo die Ermittlungen anfangen sollen.«
»Ziemlich abenteuerlich.«
»Wenn es in Turin eine Klinik gibt, die die Gesetze übertreten hat, dann kannst du davon ausgehen, daß das auch an anderen Orten möglich ist. Von China ganz zu schweigen.«
»Es reicht, Galvano! Bitte nichts Chinesisches! Sie haben mir schon einmal den Appetit verdorben, als Sie sagten, Ente sei das einzige Gericht im Chinarestaurant, bei dem man sicher erkennen könne, daß es sich nicht um einen Verwandten des Kochs handelt. Behalten Sie diese Dinge gefälligst für sich.«
Der Alte lachte sein meckerndes Lachen und schlug sich auf den Schenkel.
»Meinen Sie, das ist hier bei uns möglich? In Triest? Oder auf dem Karst?« fragte Sgubin.
»Möglich ist alles. Bedenk doch bloß, daß der junge Mann eine Operationsschürze trug. Wichtiger ist doch die Frage nach der Wahrscheinlichkeit. Die auf dem Karst sind Schickimicki-Ärzte, die auch so genug verdienen. Sprich mit Scoglio. Der Staatsanwalt weiß sicher mehr, als er dir sagt. Ich tippe darauf, daß der hinter unseren städtischen Krankenhäusern her ist.«
»Vorhin haben Sie behauptet, die beiden Fälle hingen zusammen.«
»Nur inhaltlich, nicht faktisch. Du solltest besser zuhören.«
Laurenti stand auf und schaute auf seine Uhr. »Sgubin, fährst du den Doktor bitte nach Hause?«
»Quatsch. Die paar Schritte gehe ich zu Fuß. Wann machen wir morgen weiter?«
Laurenti schaute ihn erstaunt an.
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