Tod Auf Der Warteliste
Galvano dachte wohl, er sei wieder angestellt. Bei ihm, Proteo Laurenti, Vizequestore von Triest unter Korruptionsverdacht.
»Ich melde mich, falls ich Sie noch einmal brauche.«
*
Nach Wochen unter der Nebelglocke schien der Frühling nachholen zu wollen, was er zuvor vernachlässigt hatte. Ramses saß mit hochgekrempelten Ärmeln in der Sonne und las die Zeitungen. Seine Füße lagen auf dem Stuhl gegenüber, und neben ihm qualmte eine vergessene Zigarette im Aschenbecher. Eine leichte Brise raschelte in den speckigen Blättern des alten Mispelbaumes vor dem Haus, und vom Meer drang das Rollen der Brandung herauf. Er hatte sie nicht gehört, doch erschrak er auch nicht, als zwei warme Hände ihm die Augen verdeckten. Ihr Haar kitzelte ihn im Gesicht.
»Du bist ein Frühaufsteher«, sagte Silvia mit sanfter Stimme. »Oder wolltest du vor mir fliehen?«
»Noch nicht.« Er ließ die Zeitung los und nahm ihre Hände. »Wie hast du geschlafen?«
»Glänzend.« Silvia ging um ihn herum und setzte sich auf seinen Schoß. Sie hatte sich eines seiner Hemden um die Schultern geworfen, das ihr bis zu den Knien reichte. Darunter war sie barfuß bis zum Scheitel. »Du bist ein sehr freundlicher Mann. Fast zu freundlich.«
Ramses lächelte und betrachtete sie neugierig.
»Es ist schön bei dir. Das ist mir noch nie passiert. Du wirst es nicht glauben können.«
»Warum nicht?«
»Du hast mich als Nutte kennengelernt. Das vergißt kein Mann.«
»Du unterschätzt mich.«
»Ich bin verrückt. Ich hätte nicht mit dir kommen dürfen. Das verstößt gegen die Regeln.«
Er strich ihr den Pony aus der Stirn. »Du kannst wieder kommen.«
Sie schüttelte wild den Kopf, ihre Haare wirbelten durch die Luft. »Vielleicht«, sagte sie.
»Ich mache dir einen Kaffee.« Ramses versuchte aufzustehen, doch Silvia blieb sitzen und schüttelte wieder den Kopf.
»Ich bin eine österreichische Nutte und verdiene mein Geld im Hafen von Triest. Das einzige Problem ist, daß es mir hier gefällt. Aber ich bin nicht zum Bleiben gemacht.« Sie nahm seine Hände, legte sie auf ihre Brüste und preßte ihren Unterkörper an ihn. »Du mußt mich schon halten, wenn ich nicht gehen soll. Du bist stark, trag mich hoch. Ich bin verrückt. Ich weiß doch gar nichts von dir.« Silvia lachte, schlang ihre Arme um seinen Hals und klammerte die Beine um seine Taille.
»Du bist leicht wie eine Feder«, sagte Ramses.
Wie konnte ihm das passieren? Fast zwei Jahre lang hatte er sich alleine auf seine Recherchen konzentriert und niemandem nur ein Wort darüber anvertraut. Und innerhalb weniger Tage schmolz plötzlich der Panzer aus selbstgewählter Einsamkeit dahin, hinter dem er sich versteckt hatte. Zuerst die neuen Nachbarn und jetzt Silvia. Lorenzo Ramses Frei trommelte mit den Fingern auf den Tisch und dachte darüber nach, was dieser Verlust an Anonymität bedeutete. Hatte er ganz unbewußt vielleicht doch die Nähe anderer gesucht, und welche Auswirkungen hatte dies auf seinen Plan?
»Warum hast du eine Pistole«, fragte Silvia, als sie mit einem Handtuch, das sie als Turban um ihre nassen Haare gewunden hatte, aus dem Bad kam.
»Wo hast du sie gesehen?«
»In deinem Nachttisch.«
»Ich mag es nicht, wenn man in meinen Sachen schnüffelt.«
»Was machst du beruflich?«
»Ich schreibe Bücher. Aber laß uns nicht vom Beruf sprechen. Nicht von deinem und nicht von meinem.«
»Bist du verheiratet?«
»Meine Frau ist tot.«
»Warum?«
»Ein Unfall. Vor zwei Jahren.«
»Es tut mir leid.«
»Laß uns auch davon nicht sprechen.«
»Kann ich telefonieren?«
Ramses zeigte ihr das Telefon.
»Meine Mutter«, sagte sie. »Ich möchte nicht, daß sie sich sorgt, weil ich gestern nacht nicht nach Hause kam.«
»Weiß sie, was du tust?«
»Laß uns auch davon nicht sprechen«, ahmte sie ihn mit tiefer, verstellter Stimme nach. Dann lachte sie und wählte die Nummer.
Ramses schüttelte den Kopf. Warum Silvia, fragte er sich und ging auf die Terrasse hinaus. Ihr Telefonat war kurz.
»Ich habe nicht einmal Schminkzeug dabei. Es ist alles im Wohnmobil.«
»Du brauchst keines. Wie alt bist du?«
»Sag ich dir nicht.«
»Dreißig?«
»Mehr.«
»Ich frage dich nicht mehr danach.«
»Hast du Feinde?«
»Ja.«
»Sind sie gefährlich?«
»Sie sind vor allem dumm.«
»Meine auch.«
»Was können sie dir antun?«
»Nichts«, sagte Silvia. »Sie wollen Geld. Alte Schulden. Ich habe genug, aber sie bekommen es nicht.«
»Warum
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