Tod Auf Der Warteliste
und Bagdad. Kann man gut verstehen, denn wenn du das in Indien machen läßt, kann es sein, daß du mit Malaria, Hepatitis oder Aids aufwachst. Deswegen hat die Sache sich näher zu uns verlagert, wo die medizinischen Standards unseren entsprechen. Und natürlich näher zur Kundschaft. Westeuropäer, Israelis, Araber, die sich das leisten können. Amerikaner, Malaysier, Japaner halten sich an China oder auch an Südamerika. Es ist ein florierendes Geschäft. Den Empfänger kostet das Ganze um die zweihunderttausend Dollar. Dabei ist die Operation gar nicht so kompliziert, und die Nachbetreuung läuft natürlich zu Hause. Selbst wenn dich jemand anzeigt, bist du dann wenigstens gerettet. Kein Staatsanwalt reißt dir die neue Niere wieder raus.«
Galvano fummelte eine Zigarette aus der grünen Dunhill-Packung, die er zwischen seinen knochigen Fingern hielt. Laurenti nutzte die Pause, während er sie ansteckte, um ihn zu unterbrechen.
»Was hat das mit diesem Rumänen zu tun?«
Galvano stieß den Rauch in einer langen Fahne Laurenti ins Gesicht.
»Die meisten Spender in Istanbul sind Rumänen und Moldawier. Kann man gut verstehen, bei fünfzig Dollar Monatslohn. Zuwenig zum Leben und zuviel zum Sterben. Die in Turin Operierten sind dagegen Glückspilze. Italiener, die sich finanziell übernommen hatten und wenigstens gutes Geld für ihr Nierchen erhalten haben. Aber in Istanbul gibt es provisorische Kliniken, die ständig den Standort wechseln. Die Ärmsten der Armen verkaufen Organe, die sie angeblich nicht brauchen. Eine Niere, ein Stückchen Leber, eine Netzhaut und so weiter. Alles, worauf man angeblich verzichten kann. Aber von den zehn-, zwanzigtausend Dollar, die man ihnen versprochen hat, sehen sie am Ende höchstens zwei oder drei. Das Angebot an illegalen Spenden übersteigt inzwischen die Kapazitäten. Wenn sich bei uns jemand auf die Warteliste der zentralen Organbank setzen läßt, muß er Jahre warten, außer er verfügt über exzellente Beziehungen. Wie 1990 dieser Thurn und Taxis. Nein, nicht der aus Duino, der andere aus dem deutschen Zweig der Familie. Der bekam in München an der Warteliste vorbei ein neues Herz und, als das versagte, gleich darauf noch eines. Ein Skandal. Aber du siehst, Laurenti, Geld macht’s möglich. Ein heikles Kapitel, ethisch betrachtet. Nicht daß du glaubst, ich sei ein blinder Fortschrittsfanatiker. Einerseits hat man die Technik, andererseits müssen die Organe ja von irgend jemand kommen. Die Erfolgschancen bei Lebendtransplantationen sind ungleich höher. Inzwischen gibt es den Begriff des Hirntods, der den des Herzstillstands ersetzt hat und sogar von der Kirche akzeptiert wird. Bei der Bestimmung des Lebensendes sind die berockten Herren aus Rom plötzlich einverstanden, während sie sich immer noch einmischen, was den Anfang des Lebens betrifft. Früher wartete man auf den Priester, der die Letzte Ölung verabreichte. Heute sind es Ärzte, die den Hirntod feststellen und damit die Organentnahme freigeben können. Als wären Hirntote töter als Herztote. Natürlich werden dadurch Leben gerettet, und ich will auch nicht behaupten, daß da Mißbrauch betrieben wird. Aber früher hatte man der Seele ihre Zeit gelassen, zu entweichen. Der Gehirntod ist kein biologischer Tod, es ist ein sozialer Tod.«
»Wenn Sie noch lange so weiterreden, sterben wir aus«, sagte Laurenti.
»Seelenlose Gesellschaft«, murmelte Sgubin.
»Ganz recht. In bestimmten Fällen würde ich sogar von Neokannibalismus sprechen. Wir schauen mit Gier auf den Körper des anderen wie auf ein Ersatzteillager, mit dem wir das eigene Leben verlängern können. Für meinen Geschmack ist das das Ende der Evolutionsgeschichte.«
»Bitte, Galvano. Der Rumäne!«
»Geduld, Laurenti! Es ist ein Spiel auf Gegenseitigkeit. Bei den illegalen Verpflanzungen helfen sich zwei aus völlig unterschiedlichen existentiellen Nöten. Der eine hat ein gesundes Organ, aber kein Geld zum Leben, und der andere hat Geld, ist aber todkrank. Es tut nichts zur Sache, wie du persönlich darüber denkst«, sagte der Arzt sofort, als er sah, daß Laurenti ihn unterbrechen wollte.
»Ich wollte nicht schon wieder Ihre Vorlesungen aus der Medizingeschichte hören. Sagen Sie mir lieber, was das mit Lestizza zu tun hat. Der arbeitete in einer Beautyklinik und nicht in einem Transplantationszentrum.«
»Er kann ohne weiteres einen zweiten Job an einem anderen Krankenhaus gehabt haben. Das würde ich an deiner Stelle prüfen. Die
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