Tod den Unsterblichen
für Morgen stand sie vor ihm auf. Sie begann blaß auszusehen, und er fand heraus, daß sie in der Garderobe Nickerchen machte, während er Vorlesungen hielt; aber sie beklagte sich nicht. Sie erzählte ihm auch nicht, bis er die Narben entdeckte und es erriet, daß er sich, obwohl sie an seiner Seite wachte, innerhalb einer Woche zweimal fast die Pulsadern durchgeschnitten hatte, das erste Mal mit einem Brieföffner, das zweite Mal mit einem zerbrochenen Glas. Als er sie ausschimpfte, weil sie es ihm verschwiegen hatte, küßte sie ihn. Das war alles.
Er hatte auch seltsame Träume; beim Erwachen erinnerte er sich deutlich daran, und eine Weile erzählte er sie Locille, ließ es dann aber sein. Sie waren höchst sonderbar. Sie drehten sich darum, daß er beobachtet wurde, von irgendeinem groben gereizten Wärter oder von einer feindseligen römischen Menge, die sein Blut in der Arena sehen wollte. Sie waren unerfreulich, und er versuchte, sie zu deuten. Es lag wohl daran, daß er unbewußt spürte, daß Locille ihn beobachtete, sagte er sich; aber im nächsten Atemzug sagte er: Paranoia. Er glaubte nicht daran … Aber was dann? Er dachte daran, seinen Analytiker nochmals aufzusuchen, aber als er es Locille gegenüber erwähnte, sah sie nur noch blasser und abgespannter aus. Ihre Liebe hatte etwas von der unvermittelten Freude eingebüßt, und das bedrückte Cornut; aber es kam ihm nicht in den Sinn, daß das wachsende Vertrauen und die wachsende Verbundenheit zwischen ihnen vielleicht mehr wert waren. Aber die Freude war nicht ganz verschwunden. Abgesehen von den Zwischenspielen der Leidenschaft, die durch Locilles eiserne Entschlossenheit, wach zu bleiben, bis er fest schlief, etwas gezügelt wurden, abgesehen von dem Vertrauen und der Verbundenheit gab es noch andere Dinge. Das Interesse an der gemeinsamen Arbeit, denn als seine Frau wurde Locille noch eifriger seine Schülerin als je zuvor in einem seiner Seminare; zusammen überprüften sie nochmals den Wolgren, entdeckten keine groben Fehler, stellten ihn in Ermangelung der bestätigenden Daten widerwillig zurück und fingen eine neue Studie über die Verteilung der Primzahlen in großen Zahlen an. Sie gingen eines warmen Tages zum Mathe-Turm zurück und planten einen neuen Annäherungsversuch durch die analytische Anwendung der Kongruenzgesetze, als Locille stehenblieb und ihn beim Arm faßte.
Egerd kam ihnen entgegen.
Er war sonnengebräunt, sah aber nicht gut aus. Teilweise aus Gründen, die Cornut erst allmählich erfahren hatte; er fühlte sich in Gegenwart des Mädchens, das er liebte, und des Mannes, den sie geheiratet hatte, unbehaglich. Aber es war noch etwas anderes. Er sah krank aus. Locille fragte unumwunden: »Was ist denn um Himmels willen mit dir los?«
Egerd grinste. »Weißt du denn nichts von der Medizinischen Fakultät? Es gehört zur Tradition, Füchse zu trietzen. Die allgemeine Behandlung besteht aus Hautpilzen, die den Schweiß ranzig machen, so daß man stinkt, oder aus irgendwelchen Tropfen, von denen man orangefarbene Pusteln bekommt, oder aus … na, egal. Manche Scherze sind … hm, ziemlich privater Art.«
Locille sagte wütend: »Das ist ja schrecklich. Ich finde nicht, daß du besonders komisch aussiehst, Egerd.«
Nachdem Egerd gegangen war, sagte Cornut zu ihr: »Jungens werden immer Jungens bleiben.« Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. Er wußte, daß sein Ton herzlos gewesen war. Er wußte nicht, daß sie begriff warum; er glaubte, den plötzlichen Stich der Eifersucht völlig verborgen zu haben.
Gut zwei Wochen nach Carls Tod klopfte der Proktor an Cornuts Tür und sagte, er habe Besuch. Es war Sergeant Rhame mit einem Koffer voller Krempel. »Master Carls persönliche Dinge«, erklärte er. »Sie gehören jetzt Ihnen. Natürlich mußten wir sie uns zur Untersuchung ausleihen.«
Cornut zuckte die Achseln. Der Kram hatte nicht viel Wert. Er wühlte im Koffer herum; ein paar schäbige Toilettenartikel, ein Tagebuch – er schlug es eifrig auf, aber es enthielt nur Tadel und Kollegbeteiligungen – und einen Umschlag mit Filmen.
Sergeant Rhame sagte: »Darüber wollte ich Sie etwas fragen. Er hatte viel fotografisches Material. Wir fanden mehrere unausgepackte Filme, die Master Carl gegen ein Papier mit einer Art radioaktiver Farbe gepreßt hatte. Das Labor hat viel Zeit darauf verwandt, um den Grund dafür festzustellen. Sie nehmen an, daß er versucht hat, die Gamma-Strahlen der Farbe auf den Film zu
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