Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman

Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman

Titel: Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lennon
Vom Netzwerk:
und ließ sich hechelnd am Rand der Terrasse nieder. »So wie ich es mir nach dem, was ich weiß, zusammengereimt habe, ist Folgendes
     geschehen: Der Niva-Ingenieur hatte am Nachmittag des Vortages, am 9.   Januar, einen Termin bei Billy Breakman. Es ging um irgendwelche Traktoren, die repariert werden mussten. Aber der Russe verspätete
     sich hoffnungslos – vermutlich wegen des Wetters. Er erreichte Thinbeach erst abends, doch da waren die Straßen völlig vereist.
     Was damals geschehen ist, werden wir niemals genau erfahren, aber er hat wohl auf der Landstraße die Kontrolle über sein Fahrzeug
     verloren. Als der Wagen gefunden wurde, lag er halb im Graben. Möglicherweise erlitt der Ingenieur bei dem Aufprall eine Gehirnerschütterung.
     Aber es gelang ihm trotzdem, aus dem Wagen zu kommen, und er schaffte es auch durch das Schneetreiben bis nach Thinbeach.«
    »Und was ist ihm dort zugestoßen?«
    Alain schwieg einen Moment.
    »Inspector, Sie dürfen die Umstände nicht vergessen. Zumeinen befand sich das Land mitten im sogenannten Winter of Discontent, dem Streikwinter 1978   /   79.   Sind Sie überhaupt alt genug, sich daran zu erinnern?«
    »Es war eine Zeit der Unruhe in den Industriebetrieben.«
    Alain hob die Augenbrauen. »Mehr als das, Inspector. Es war der Versuch der Gewerkschaften, England vollkommen kaputt zu machen
     – wie typisch angelsächsisch dieser uralte zerstörerische Impuls doch ist. Aufruhr lag in der Luft, die Stimmung war extrem
     gereizt. Zum anderen aber hatte sich in dieser Gegend hier schon einige Monate früher eine ganz eigene angelsächsische Krise
     entwickelt. Das ganze Gebiet der Fens, auch Thinbeach, wurde von einer schrecklichen Verbrechenswelle überrollt – Kriminelle
     aus Wittris, die sich bereichern und zugleich möglichst viel Zerstörung anrichten wollten.«
    »Ich weiß darüber Bescheid. Das war zweifellos ein ernstes Problem, aber was hat es mit dem Russen zu tun?«
    »Einige dieser Verbrechen waren wirklich schockierend. Diese Gangster aus Wittris hegen seit langer Zeit einen Groll gegen
     unser Dorf.«
    »Seit tausend Jahren?«
    »Genau. Die nennen uns noch immer Normannen, nicht wahr? In meinen Ohren ist das ein Kompliment, keine Beleidigung – aber
     diese Typen aus Wittris schieben uns die Schuld an ihrer sozialen Schieflage in die Schuhe, obwohl sie die ganz allein ihrer
     eigenen Trägheit und Faulheit zuzuschreiben haben. Sie hassen uns und neiden uns unseren Wohlstand.« Alain lachte und schlug
     nach einem Insekt, das sein Gesicht umsurrte. Der Mond war nun über die Wipfel der Weiden gestiegen und leuchtete hell und
     schwer über dem Wasser, doch es ballten sich immer dichtere Wolken am Himmel. Kein Windhauch regte sich. »Manchmal frage ich
     mich, ob Chretien de Minchin nicht zu nachsichtig war. Er hat die Aufständischen vertrieben, aber zugelassen, dass sie sich
     in denSümpfen festsetzen. Wenn Chretien damals ganze Arbeit geleistet hätte, wären die Probleme in unserer Region heute vielleicht
     viel harmloser.«
    »Ich kann Ihnen nicht folgen, Alain.«
    »Vielleicht, ich sage ja nur vielleicht, Inspector, hätte er sie alle im See ersäufen sollen, und nicht nur seine verhurte
     Ehefrau.« Alain lächelte und zwinkerte ihm zu. »Aber wir waren bei der Verbrechenswelle, die damals aus Wittris herausschwappte,
     nicht wahr? In jenem Winter drehten die Kerle aus Wittris durch und meinten, sie müssten sich rächen. In manchen Farmhäusern
     rissen sie die Leute aus den Betten und stießen sie mit Tritten die Treppe hinunter. In einem der Häuser in den Shamblings
     fesselten sie die Bewohner, schlugen sie mit Gürteln und urinierten auf sie. Verständlicherweise hatten die Leute hier nun
     Angst vor Fremden. Jeder Unbekannte war ein potentieller Einbrecher, ein Eindringling . . .«
    »Oder ein Angreifer.«
    »Genau. Und darum ließen die Leute die Türen verschlossen, als der Russe nach Anbruch der Dunkelheit nach Thinbeach kam.«
    »Sie meinen, er hat an die Türen geklopft und um Hilfe gebeten?«
    Alain hob das Gesicht zum Mond. »Das vermute ich zumindest. Aber er war ein großer, kräftiger Mann, zerzaust, schmutzig und
     mitgenommen von dem Unfall, und er sprach sonderbar. Aufgrund seiner Kopfverletzung war sein Englisch vermutlich besonders
     schwer verständlich.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass keiner in ganz Thinbeach ihm die Tür aufgemacht hat? Einem Verletzten, der draußen in der Eiseskälte
     stand?«
    Alain nickte. »Sie

Weitere Kostenlose Bücher