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Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Tabletten – anfangs Akineton, später Truksal, Neurozil, Haloperidol, kleine blauweiße oder rotgrüne Kapseln, die sie beruhigen sollten. In Wirklichkeit aber verwandelten sie meine Schwester in ein Wesen, das unsichtbare Bleiplatten auf seiner Schädeldecke zu balancieren schien. Unempfindlich gemacht gegen Hitze und Kälte, schleppte sie ihren Körper mit sich herum; im Winter lief sie in dünnen Fähnchen durch den Park, und jedes noch so heiße Essen schlang sie, ohne das Gesicht zu verziehen, herunter.
    Anfangs war sie einfach umgefallen, wenn ihr einezu hohe Dosis verabreicht wurde, und sie bekam heftige Blickkrämpfe, wobei sich ihre Augen unkontrollierbar nach oben verdrehten und sie die Orientierung verlor. Einmal ist sie im Bus neben mir zuckend und mit verdrehten Augäpfeln vor allen Leuten umgekippt, die entsetzt aufschrien, als sie zu Boden ging und eine jüngere Frau mit sich riß.
    Daß ich sie nicht nach ihren Lungentabletten gefragt habe, als wir losfuhren, werde ich mir nie verzeihen. Sie hätten ihr geholfen, und die Dinge wären anders gekommen. Aber alles war damals so schnell gegangen.
    In der ersten Zeit hatten wir beide das Gefühl, das einzig Richtige und längst Überfällige getan zu haben und endlich über die Leere und die Aussichtslosigkeit ihres Heimlebens zu triumphieren, indem ich sie von dort wegbrachte. Doch je länger wir ziellos herumfuhren, desto mehr wich meine Euphorie einer immer größer werdenden Ernüchterung über unsere selbstgeschaffene Situation. Ab und zu stachelte ich uns noch mit Witzen über Mutters Ängste an, tatsächlich aber konnten wir uns irgendwann nicht mehr darüber hinwegtäuschen, daß unsere Fahrt zu einem Auf-der-Stelle-Treten geworden war.
    Meine Versuche, ihr weitere Kinobesuche oder Ausflüge ans Meer schmackhaft zu machen, tat Leni nur noch gelangweilt ab. Wir fuhren durch Tage und Nächte, und nichts schien sie mehr wirklich zu interessieren,außer die Zigaretten. Nach gut zwei Wochen war uns aller Elan abhanden gekommen. Zudem waren Leni ihre Haloperidol ausgegangen, was sie deutlich nervöser machte. Sie lauerte. Gereizt schnitt sie mir ständig das Wort ab.
    Ab einem gewissen Zeitpunkt mußte ich mir eingestehen, daß unser Vorhaben von Anfang an begrenzt gewesen war. Ich dachte inzwischen immer häufiger an meinen Laden.
    Ich machte noch einmal einen Versuch bei meinem Amsterdamer Freund, und als er tatsächlich den Hörer abnahm, dachte ich erleichtert, wir seien einen Schritt weiter, könnten bei ihm in Ruhe unsere Lage überdenken. Doch Leni reagierte barsch, lehnte meine Idee, dort haltzumachen, unwillig ab.
    Wir fuhren dann aber trotzdem zu Paul, wenn auch nur für eine Nacht. Zuerst gab er sich überschwenglich, klopfte mir dauernd auf die Schulter und stellte belanglose Fragen.
    Doch als er Lenis Zustand endlich begriff, kühlte er merklich ab, wirkte seine Herzlichkeit nur noch gespielt. Hier lief die Zeit also auch gegen uns. Paul arbeitete inzwischen als professioneller Fotograf. Auf dem verstaubten Glastisch drängten sich Kameras, Objektive und zahllose Klarsichthüllen, in denen Dias steckten. An der Wand hingen in Wechselrahmen große Schwarzweißbilder mit nackten Frauen in hochhackigenSchuhen, über deren eckige Schultern sich dunkle oder blonde Haarwogen gossen. Eine hatte ihre Scham blank rasiert. Selbstbewußt starrte sie dem Betrachter unter langen Wimpern und mit gelackten Lippen entgegen, aufreizend und kühl.
    Die ganze Wohnung kam mir vor wie aus einem Prospekt, ihre kalte Perfektion wirkte einschüchternd. In der Diele klemmten Schuhspanner in polierten Schnallenschuhen. Im Stromzähler drehte sich mit kaum vernehmbarem Sirren das Rädchen.
    Paul gab sich geschäftig, redete ununterbrochen von Bildredakteuren, Models und ahnungslosen Kunden, die ihn noch um den Verstand brächten. Paul war grau und zu einem langweiligen Angeber geworden, der seinen Redefluß nur unterbrach, um sich einen nach Pfefferminz riechenden, grünen Sirup nachzugießen. Meinen Fragen wich er aus.
    Paul rang sich am nächsten Morgen ein kurzes, gemeinsames Frühstück ab, doch als wir seine Wohnung verließen, fuhr er sichtlich erleichtert in seinem schwarzen Saab Turbo davon.
    Anfangs hatte ich nicht das geringste Interesse an einem Kaffee mit ihm, aber ich verspürte Lust auf das vertrauenerweckende Bild, gemeinsam dazusitzen und Kaffee zu trinken.

NEUN
    Wir stritten uns nun immer häufiger. Lenis Rauchen fing an, mir auf die Nerven zu

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