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Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Provisorium unseres Zusammenlebens gescheitert war, und auch nicht Lenis Krankheit.
    Aus allen Ecken schienen hier die Erinnerungen wie längst müde gewordene Hunde noch ein letztes Mal nach mir zu schnappen. Es waren schon abgeschüttelt geglaubte Reflexe, die mich zurückversetzten in die beklemmende Borniertheit einer Familie, in der Selbstbetrug, Kleinkariertheit, Lebensangst und Vertuschung geherrscht hatten; dieses nun leergeräumte Gespinst, aus dem ich lange keinen Weg nach draußen fand. Vielleicht, so denke ich heute, war es die Enge darin, der Leni einfach nicht entkommen konnte und die ihr die Luft nahm.
    Um uns liefen die Menschen durch die Amsterdamer Nacht, deren Lichter mich zurückbrachten in die Gegenwart unserer Reise. Noch immer trieb es uns stumm an Geschäften vorbei, an Boutiquen und Gaststätten und über einen großen Platz, auf dem Händler ihre Blumenstände abbauten, bis wir in eine der Grachten abbogen, eine dunkle, abschüssige, kopfsteingepflasterte Gasse, an deren Ende der Ausleger einer Bar im Lampenlicht schwankte. Leni sah mich an, und wir stiegen die paar Stufen ins helle Licht hinab. Mit langen Fingern angelte sie nach der Speisekarte.
    Im Hintergrund lief wieder der Beatles-Song, der mir schon am Morgen beim Tanken aus einem vorbeirollenden Auto entgegengetönt war, »Yesterday«.
    Als kurz darauf die Platte mit den Käsespießen und den Oliven kam, duftete das warme Weißbrot.

ACHT
    Wir waren mittlerweile über eine Woche unterwegs, und ohne ihre Lungentabletten fing Leni wieder an zu husten, ein trockenes, in der Enge ihrer Brust festsitzendes Rasseln, das sie oft minutenlang schüttelte und ihr eine scheckige Röte in die Wangen trieb, um sich dann wieder in langen Pausen neu gegen sie zu formieren.
    Unsere Kleider waren verklebt; es war heiß geworden, und wir fuhren mit runtergedrehten Scheiben.
    Nordwijk, Zandvoort, Haarlem – ich weiß nicht mehr, wo wir überall anhielten und ausstiegen, um durch verstopfte Fußgängerzonen zu laufen. Da oder dort trank ich ein Glas Amstel und Leni immer nur Cola. Einmal sahen wir uns einen Harrison-Ford-Film in einem alten Plüschkino namens »Apollo« an und versanken in den bonbonfarbenen Sesseln. Es wurde das amerikanische Original gezeigt, und wir verstanden fast nichts. Trotzdem schien sich Leni zu amüsieren,denn was da auf der Leinwand geschah, begriff man auch so. Kindlich gebannt folgte sie der Handlung, stopfte sich das Popcorn in den Mund, und das Flimmern der Bilder warf wilde Schatten auf ihr Gesicht.
    In Haarlem saßen wir stundenlang im »Café 1900«, wo uns eine schöne, schlanke Kellnerin mit einer Stupsnase und in Springerstiefeln bediente. Jedesmal, wenn sie an der Nische vorbeikam, in der wir saßen, warf sie mir flüchtige, aber intensive Blicke zu. Ihre geschmeidigen Bewegungen wirkten, als liefe sie mit ihren Stiefeln auf Schlagsahne. Ihr langes, blondes Haar fiel in Wellen bis zur Taille locker herab. Ich konnte nicht anders, als immer wieder zu ihr hinüberzusehen. Es schien ihr zu gefallen, daß sie mir gefiel.
    Die alte Frau mit dem fetten Pudel, die uns gegenübersaß und Leni unentwegt anstarrte, warf ihrem schnaufenden Liebling Brotstückchen vor die Füße, die sie zuvor in einen vor ihr auf dem Tisch stehenden Teller getunkt hatte. Gierig würgte der Hund die Brocken herunter. Das Tier erinnerte mich an Pancho, Mutters vor Jahren gestorbenen Kaninchenzwergdackel, ein giftiges Luder, das ihr am Ende fast das Herz brach, als es qualvoll starb. Beim Bezahlen versuchte ich, der blonden Kellnerin nicht in die Augen zu sehen. Beiläufig legte ich ihr die Münzen hin. Sie mochte es für Lässigkeit gehalten haben, ich war aber einfach nur feige.
    Bei unseren Telefonaten war mir aufgefallen, wie mühsam Leni nach Luft schnappte, während sie meine Fragen beantwortete. Kurz darauf kam Mutters Anruf mit der Nachricht, Leni liege im Krankenhaus. Als sich dann ihre Bronchitis zu einer Lungenentzündung auswuchs, wurde sie für ein paar Tage auf die Intensivstation verlegt.
    Die behandelnde Ärztin hatte Mutter mit ihren Andeutungen geängstigt, doch im Grunde ahnten wir seit langem, daß Lenis Rauchen sie eines Tages umbringen würde.
    Als ich sie dann selber sprach, klang ihre Stimme schwach und eigenartig hohl. Sie hatten ihr Medikamente gegeben, erst intravenös, später Tabletten, die sie fortan zusätzlich zu den Neuroleptika abends vor dem Schlafen einnehmen sollte. Seit mehr als zwanzig Jahren schluckte sie

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