Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
weiter, lieber Freund, hätte ich jetzt beinahe gesagt. Aber das war das Kreuz mit den beiden: EhrlKönig, seinerseits nicht mit Freunden versehen, Sie wissen, RHH ist der einzige Mensch, mit dem er per Du war, außer mit der Madame, sonst mit allen: das vehementeste Sie! RHH kennen Sie? Ich: Kennen nicht, gehört genug. Silberfuchs: Ohne RHH ist Ehrl-König nicht verständlich, vielleicht überhaupt nicht möglich. Also Ehrl-König, freundesarm, unsereiner, geboren in Bingen am Rhein, kommt da nicht mit. Die treffen auf einander. Beruflich. Entweder Ehrl-König schreibt die werbenden Widmungen jedem ins Büchel, dann ist das als bedenkenlos zu nehmen, will sich Leute vielleicht auf jede Art unterwerfen, das fände ich fies, oder er meint es. Und Hans Lach hat wahrscheinlich geglaubt, er meine es. Dann die mehr oder weniger peinlichen Treffen in aller Öffentlichkeit. Ehrl-König hat Lach sicher nicht mehr niedergemacht, als er Böllfrischgrasshandke niedergemacht hat. Böll und Frisch haben ihn, jeder für sich und ohne vom anderen zu wissen, Scheißkerl genannt. Ehrl-König rühmt sich dessen laut und gern. Böll habe ihm nach der Scheißkerl-Taufe herzlichst die Hand gedrückt. Frisch sei sicher zurückhaltender geblieben. Grass hat ihm Zeichnungen geschenkt. Es haben ihm ja alle etwas geschenkt. Unter anderem sich. Und sei’s in der Hoffnung auf das Gegengeschenk. Schließlich war er der Mächtigste, der je in der Literaturszene Blitze schleuderte. Im DAS Magazin einer seiner Chorknaben: Ehrl-König, der einflußreichste Kritiker in der Geschichte der deutschen Literatur. So etwas spricht sich herum. Jeder tönt da gern noch mit. Daß er sich mit Lessing verwechselte, darf man ihm nicht übelnehmen. Er war von seinen eigenen Blitzen geblendet. Silberfuchs stand auf, ging zum großen Rundbogenfenster: Wenn man da hinausschaut, könnte es 1912 sein, sagte er. Besonders im Winter, sagte ich.
    Er wohne in der Hochleite ja fast ein bißchen feiner, sagte er, aber das hier ist … ist selten innig. Und Hans Lach hat fünf Minuten weiter gewohnt, sagte ich. Wahnsinnig, sagte er. Und drehte sich um. Wir sind beide Historiker, sagte er, das heißt, wir stellen, was wir zu wissen kriegen, so vor, daß es uns selber verständlich wird. Dann drehte er sich wieder zum Fenster.
    Ich dachte: Wenn wir Freunde wären, stünde ich jetzt auch auf und stellte mich neben dich, so nah, daß unsere Jackenärmel einander berührten.
    Einmal, sagte er dann, es war auch im Foyer der Kammerspiele , da hat Hans Lach, es war vor drei Jahren, mein Gott, und wie absolut vergangen ist das jetzt durch das, was passiert ist, da hat er, vielleicht weil es die Pause in einem Tschechow-Stück war, da hat er sich mir, man muß schon sagen, geöffnet. Im Foyer. Und, weil der Tschechow uns forderte, nachher noch im Roma . Ein paar Tage davor war sein California Fragment dran gewesen in der SPRECHSTUNDE . Wieder war sein Buch das Schlechte Buch. Es ist schon eine schwertscharfe Einteilung, die EhrlKönig da in die Welt gebracht hat. Hans Lach hatte die Sendung selber nicht gesehen.
    Angeblich. Er behauptete schon seit einigen Jahren, und behauptete es in der Tschechow-Pause wieder, daß er diese Sendung nicht mehr anschaue, weil ihn, was jemand über ein Schlechtes Buch sage, nicht interessiere. Aber ihm werde, das hat er öfter erwähnt, von anderen berichtet, wie Ehrl-König mit ihm wieder verfahren sei. Das sei überhaupt interessant, wie Kollegen und Kolleginnen, auch solche, die einem sozusagen nahe stünden, über diese Show berichteten. Und alle bestünden darauf, was sie weitergäben, sei ein Bericht. Inzwischen teile er Leute genau danach ein, wie sie ihm über Ehrl-König-Shows berichteten. Nichts sei ein so verläßliches Zeugnis von Wohlwollen oder gar Nähe, wie wenn dir jemand berichtet, wie über dich da und dort gesprochen oder gar befunden wurde. Es gebe ja unendlich viele Möglichkeiten teilzunehmen. Nichts charakterisiere einen Menschen genauer als diese Fähigkeit. Schon daß
    sie’s ihm überhaupt mitteilen müßten, wie über ihn gesprochen beziehungsweise befunden wurde, ist eine Unverfrorenheit oder Anmaßung oder Aufdringlichkeit, daß er dann nur noch darauf warte, wie der oder die das durch den Bericht wieder gutmache, das heißt, wie sie sich durch die Art ihres Berichts dafür rechtfertigen können, daß sie ihm überhaupt zu berichten wagten. Er nehme seine Frau von dieser Prüfung nicht aus. Sie versäume keine

Weitere Kostenlose Bücher